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Mein Freund Jossele

Mein Freund Jossele

Titel: Mein Freund Jossele
Autoren: Ephraim Kishon
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zwölf. Eine ältere, vermutlich vom Hitzschlag getroffene Dame setzte sich zwischen zwei langsam dahinfließende Gepäckstücke und verschwand im Nichts. Niemand hielt sie auf.
    Was mich betrifft, so entdeckte ich plötzlich in einer entlegenen Ecke der Halle meinen Koffer. Die Gurte waren abgerissen, aber das Schloss hatte die Prüfung bestanden. Ich sah mich nach einem der neuerdings so beliebten Schiebewägelchen um, aber es gab keines. Es gab auch keinen Träger.
    Wahrscheinlich hatten sie alle das zweifellos nahe gelegene Buffet aufgesucht und labten sich an einem kalten Bier.
    Da man mich vor der Witterung in Europa gewarnt und mir dringend geraten hatte, warme Überkleider und Galoschen mitzunehmen, war mein Koffer sehr schwer. Es gelang mir trotzdem, ihn aus dem Gebäude hinauszuzerren.
    Draußen - ich sah es mit schweißgebadeter Erleichterung - standen viele Taxis, allerdings ohne Fahrer, aber dafür mit einer schier unabsehbaren Schlange wartender Touristen. Ich stellte mich am Ende an und wartete geduldig etwa eine Stunde. Dann begann in mir der Verdacht aufzukeimen, dass da irgendetwas nicht stimmte, denn in der ganzen Zeit war kein einziges Taxi abgefahren.
    Mein Blick fiel auf eine Gruppe unverkennbarer Römer, die sich ein wenig abseits zusammengerottet hatten und friedlich rauchten.
    »Warum no Taxi?« fragte ich sie. »Ich Tourist. Mio Turisto. Will Taxi.«
    Zu meiner Freude verstanden sie mein Italienisch, weshalb sie englisch antworteten:

    »Streik. Fahrer, Chauffeure, Taxilenker - tutti streiken.«
    Auch ich bediente mich daraufhin der englischen Sprache, und zwar in zornigem Tonfall:
    »Warum lassen Sie dann alle diese Leute warten? Warum sagen Sie ihnen nicht, dass gestreikt wird?« »Vincitor del padre mio«, lautete die abweisende Antwort. »Sacro fundamente.«
    Sosehr ich italienische Opern liebe - auf Flughäfen habe ich nichts für sie übrig. Ich schleppte meinen Koffer keuchend zum nächsten Bus und erkundigte mich bei den Glücklichen, die drinnen saßen, wohin die Fahrt ginge. Sie wussten es nicht. Wie sich zeigte, hatten sie den Bus nur um der freien Sitzgelegenheiten willen bestiegen. Ich wandte mich an den Fahrer:
    »Mio Turisto. Mio Hotel. Autobus - Hotel?«
    Der Mann glotzte mich an und zuckte die Achseln. Ganz offenkundig hatte er keine Ahnung, was ich von ihm wollte, und das war ihm nicht übelzunehmen. Er sieht einen eben angekommenen Fluggast mit einem Koffer in der Hand und hört die Worte »Autobus« und »Hotel« - wie soll er erraten, was damit gemeint ist?
    Ich stieß mehrere ungarische Flüche aus. Das brachte ihn auf den Gedanken, dass ich ein Fremder sein könnte.
    Er deutete auf einen Kiosk im Innern der Halle, der die Aufschrift HOTEL SERVICE trug und von einer verzweifelten Menschenmenge umlagert war. Im Innern des Verschlags befand sich niemand. Ich fragte eine sichtlich verschlafene Dame, wie lange sie schon hier wartete. Seit den frühen Morgenstunden, sagte sie und hielt sich nur mühsam aufrecht. Um sie zu beleben, zog ich sie in ein Gespräch über Aufstieg und Fall des Römischen Imperiums. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass der Fall keine Überraschung wäre.
    Dann machte sich bei mir eine Regung geltend, die ich als Hunger agnoszierte. Nun ist es für einen Mann mit einem siebzig Pfund schweren Koffer in der Hand gar nicht einfach, auf Nahrungssuche zu gehen. Deshalb zog ich es vor, mich unter dem Ansatz eines mondän angelegten Treppenaufgangs zu verkriechen und in dieser gemütlichen Nische den nächsten Regierungswechsel abzuwarten.
    Und dann geschah das Wunder. Ein bildhübscher Jüngling kam auf mich zu, klopfte mir zart auf die Schulter und fragte:
    »Hotel? Du Hotel?«
    Es war das erste Mal im Leben, dass ich einen Engel vor mir sah.
    »Ja«, seufzte ich. »Ich Hotel. Ja Hotel. Si Hotel.«
    Der Engel hielt mir seine sämtlichen Finger unter die Nase, insgesamt ihrer zwölf.
    »Zwölftausend«, sagte er. »Zwölftausend Lire. Duodeci mille. Du verstehen?«
    Ich verstand. Ich hätte ihn in diesem Augenblick auch als Universalerben eingesetzt.
    Wir verließen die Halle und bestiegen das Auto des Engels, Baujahr 1946, aber für mich sah es aus wie Jupiters Sonnenwagen. Unterwegs plauderten wir miteinander, so gut es ging, etwa indem ich ihn fragte, wie weit es zum Hotel wäre, und indem er antwortete: zwölftausend.
    Endlich erreichten wir Rom, die ewige Stadt. Ein beglückender Anblick, doppelt beglückend nach allem, was ich durchlitten hatte. Diese
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