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Mein Freund Jossele

Mein Freund Jossele

Titel: Mein Freund Jossele
Autoren: Ephraim Kishon
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kommen!«
    »Keine Spur!« entgegnete die Menge. »Das ist nur die Ambulanz.«
    Es war ein schlimmer Augenblick. Was, wenn die Sanitäter den Verletzten abtransportierten? Wo bleiben dann die Aufnahmen?
    »Tragen Sie ihn noch nicht weg!« baten die Umstehenden. »Nicht bevor die anderen kommen!
    Bitte!«
    Das Ambulanzteam erkannte die Stichhaltigkeit dieses Ansuchens und übte Zurückhaltung. Nur der Sanitäter, der die Tragbahre bereithielt, warf einen besorgten Blick zu dem eingeklemmten Fahrer hinauf: »Vielleicht braucht er eine Bluttransfusion oder sonst etwas?« »Nein, nein«, beruhigte man ihn. »Der nicht. Eben hat er sich wieder bewegt. Und außerdem will er ja ins Bild kommen.«
    Ein paar Halbwüchsige kletterten auf Laternenpfählen, um im geeigneten Augenblick in die Kamera grinsen und winken zu können.
    »Wasser«, hörte man den Fahrer abermals stöhnen. »Wasser . . .«
    »Du kriegst einen ganzen Eimer voll!« wurde ihm zugerufen. »Aber jetzt halt still!«
    Ein Taxi bog um die Ecke, hielt an und entließ einen schläfrigen Gesellen mit einer Kamera, gefolgt von einem Minderjährigen mit einem Mikrophon.
    Die Menge verstummte ehrfürchtig. Für die meisten war es das erste Mal, dass sie der Erfindung Fernsehen sozusagen in Fleisch und Blut begegneten. Ein alter Mann murmelte einen Segensspruch.
    »Was ist los?« fragte der Kameramann.
    Die beinahe überfahrene Fußgängerin bezog Posten: »Er hat mich beinahe überfahren !« rief sie mit schriller Altweiberstimme. »Beinahe überfahren hat er mich!« Ein Samurai-Typ in einem japanischen Sporthemd stieß sie beiseite: »Ich hab's genau gesehen! Diese kleine Wanze kam in rasendem Tempo herangesaust. . .«
    Ringsum ertönten Protestrufe:
    »Der Kerl war ja gar nicht dabei ... Er ist später gekommen als die Ambulanz . . . Und jetzt stiehlt er uns die Show . . . Unerhört. . .«
    Auch ich war angeekelt. Warum haben sie nicht mich gefragt?
    »Ich selbst bin ein routinierter Fahrer«, sagte der Samurai gerade in die emsig surrende Kamera.
    »Fuhr einen Ferrari. Habe an Autorennen teilgenommen. Aber dann hat meine Schwester diesen Verbrecher geheiratet, und da hat mein Vater gesagt: Schluss mit den Autorennen. Na ja, und wie dann die Scheidung kam, war ja vorauszusehen, nicht wahr, da hat's also bei mir mit dem Training Schwierigkeiten gegeben, man wird ja nicht jünger . . .«
    Inzwischen hatte ich mich an die Kamera herangearbeitet und wäre gut ins Bild gekommen, wenn mich die fast Überfahrene nicht weggezerrt hätte.
    »Er hat mich überfahren!« kreischte sie wütend. »Mich, nicht Sie!«
    Die alte Hexe war mir in der Seele zuwider. Jetzt begann sie sogar zu heulen, nur um die Kamera auf sich zu ziehen. Ich, der ich bekanntlich in der Sendung »So ist das Leben« mitgewirkt habe, werde schnöde übergangen, weil sich eine uninteressante Vettel ohne die geringste Kameraerfahrung vordrängt. Man sollte gar nicht glauben, wozu Leute imstande sind, um ins Bild zu kommen.
    Kurz entschlossen boxte ich die alte Hexe in die Hüfte, schob mich auf den vor ihr usurpierten Platz und deutete auf mich:
    »Hallo, Kinder!« stieß ich in großer Hast hervor. »Hier ist Papi! Er war dabei!«
    Ein Wissbegieriger nahm die Gelegenheit wahr und richtete ausgerechnet an mich die Frage, ob es sich hier um Video oder um Stereo handelt, der Idiot. Das nützte wiederum der Samurai aus, um die Lebensgeschichte seiner Schwester zu beenden. Kein Wunder, dass der Kameramann es vorzog, die Wagenpyramide zu erklimmen und sein Gerät auf den Fahrer zu richten. Als der Fahrer das sah, öffnete er die blutleeren Lippen und flüsterte:
    »Um Himmels willen . . . nicht das Profil . . . bitte von vorne . . .«
    Der Inhaber eines nahe gelegenen Ladens drängte sich mit einem Glas Wasser durch die Reihen der Gaffer: »Ich bringe Wasser für den Verunglückten!« rief er mit breitem Lächeln in die Kamera.
    »Trinken Sie, alter Junge! Es wird Ihnen guttun!«
    Jetzt war der große Augenblick des Verunglückten gekommen:
    »Soll ich hinunterkriechen?« fragte er den Kameramann. »Geben Sie mir ein Handzeichen, wenn's so weit ist!«
    Die Sanitäter mit der Tragbahre traten in Aktion. Beim drittenmal klappte es. Die Show war zu Ende. Erwartungsvoll ging ich nach Hause.
    Punkt 21 Uhr versammelte sich die Familie um den Fernsehschirm, um Papi in den Abendnachrichten zu sehen. Der Sprecher vertrödelte kostbare Minuten mit allerlei politischem Firlefanz, aber dann war endlich mein Unfall dran.
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