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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
Autoren: Helmut Schmidt
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den Griechen Geld zu geben, die Debatte ist immer sehr emotional. Aber es endet immer in derselben Art: »Sie glauben wirklich, Europa geht kaputt, wenn wir das nicht machen?« – »Ja.« Und dann kommt immer dieselbe Reaktion: Wenn das der Preis für Europa ist, dann müssen wir es wohl machen. Ich lerne daraus, dass die These, Europa ist nicht zu verkaufen, harte Entscheidungen sind nicht zu verkaufen, schlicht und einfach Ausdruck der Schwäche der Politiker ist. Fast alle wesentlichen Entscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik mussten gegen breite Mehrheiten durchgefochten werden. Über die Einheit hätte man auch keine Volksabstimmung durchführen dürfen, wenn wir mal ehrlich sind.
    SCHMIDT:
    Die heutigen Politiker wollen wiedergewählt werden.
    FISCHER:
    Das wollten wir auch.
    SCHMIDT:
    Und das ist viel wichtiger für sie, als Risiken zu laufen. Man muss als Leader der Nation wissen, dass man abgewählt werden kann. Und man muss das billigend in Kauf nehmen.
    FISCHER:
    Frau Merkel ist jetzt dreimal gewählt worden, ein viertes Mal werden die Deutschen sie nicht wählen, da wird es ihr nicht anders ergehen als Helmut Kohl. Irgendwann kommt der Faktor Gesicht … Also: Was will sie? Was will sie jenseits ihres Amtseids? Die Antwort liegt in Europa: Schafft sie es, oder schafft sie es nicht?
    DIE ZEIT:
    Ist sie eine Europäerin der Vernunft, wie Helmut Schmidt sie genannt hat, oder auch eine des Herzens?
    FISCHER:
    Schauen Sie ihre Polen-Politik an, da ist viel Herz mit dabei. Das macht sie hervorragend. Vergleichen Sie ihre Polen-Politik mit ihrer Europa-Politik, dann finden Sie die Antwort.
    SCHMIDT:
    Wir können aus Frau Merkel nicht jemand anderes machen als die, die sie ist. Sie hat es zu tun mit beinahe siebzig koalitionswilligen Politikern, die von Europa bestenfalls genauso viel und genauso wenig verstehen wie die Minister. Ein normaler Minister versteht von Europa weniger als Wolfgang Schäuble und viel weniger als die Kanzlerin. Wenn Frau Merkel Steinbrück oder Steinmeier als Partner hätte, dann könnte ich mir vorstellen, dass einer von diesen beiden der Kanzlerin sagt: »Ich möchte Europa an die erste Stelle setzen, und ich schlage das und das und das vor.«
    Zu Ihrer Frage, was die neue Regierung konkret tun müsste: Es wäre eine unglaubliche Tat, wenn die Regierung, die da zurzeit gebildet wird, als Erstes verkünden würde, dass sie bereit ist zur gemeinsamen Aufarbeitung der Altschulden und zweitens bereit ist, sich zu beteiligen an der Neuverschuldung. Das wird sie beides aber nicht tun.
    FISCHER:
    Genau das wollte ich gerade sagen. Bedauerlicherweise werden sie es nicht tun. Aber es wäre ein politischer Akt, der historische Dimension erreichen könnte. Nur würde es volle Kampfbereitschaft und Risikobereitschaft der führenden Leute in den Parteien voraussetzen.
    SCHMIDT:
    Und gleichzeitig könnte man dem deutschen Volk sagen, letzten Endes wirkt es sich aus zu unseren Gunsten.
    FISCHER:
    Ja.
    DIE ZEIT:
    Stattdessen wird man weiterhin eine Politik des Durchwurstelns betreiben und darauf bedacht sein, dass der Schwarze Peter stets beim Koalitionspartner liegt.
    FISCHER:
    Aber es ist eine große Koalition! Und die treten nicht zum Schönheitswettbewerb an, sondern um eine historische Herausforderung zu stemmen.
    SCHMIDT:
    Die sollen nicht nach der Meinung des Volkes schielen, die sollen regieren! Was vernünftig ist, soll gemacht werden. Was notwendig ist, muss gemacht werden – und wenn eine Kanzlerin darüber stürzt.
    FISCHER:
    Das ist alles nicht populär. Aber es ist ein Irrglaube zu meinen, dass man regiert auf der Grundlage von Umfragewerten. Wie oft hat die Kanzlerin sich im Zusammenhang mit der Euro-Krise direkt an das deutsche Volk gewandt? Zero. Ich habe Gerhard Schröder mal gefragt: »Sag mal, du hättest doch mindestens einmal schon zur besten Sendezeit dich direkt ans Volk gewandt und erklärt, warum du so und so entscheidest und wohin es gehen muss.« Das ist doch das Privileg des Kanzlers. Das erwarten die Leute in einer Demokratie auch. In einer Krise guckt alles auf die Nummer Eins. Das ist nichts Undemokratisches. Sie oder er ist gewählt, führt in einer repräsentativen Demokratie, und von dieser Person will man in schwierigen Zeiten wissen, wo’s langgeht. Von Frau Merkel haben wir Zero gehört, wo sie hin will, wohl aber beständig, was alles nicht geht!
    Das gilt übrigens außenpolitisch genauso. Was immer die Deutschen machen oder was sie nicht
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