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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
Autoren: Helmut Schmidt
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Die deutschen Völkerrechtler – und unsere Verfassungsrichter!  – kennen nur diese beiden Begriffe.
    FISCHER:
    Aus der Krise kann man vielleicht die Lehre ziehen, dass eine europäische Regierung nicht von der Kommission, sondern von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten her gedacht werden sollte. In der Eurogruppe sind die Staats- und Regierungschefs ja bereits heute so etwas wie eine Vorform einer gemeinsamen Regierung. Und warum denken wir nicht darüber nach, über den Zwischenschritt einer Eurokammer eine zweite Kammer einzuführen? Warum nicht dieses Durcheinander des Rates auflösen – in die eine Richtung als europäische Regierung, in die andere Richtung durch Etablierung der Vertreter der nationalen Parlamente als Eurokammer mit der Perspektive einer zweiten Kammer des Europaparlaments? Damit wären die direkt legitimierten nationalen Parlamente und Regierungen mit in die europäischen Angelegenheiten eingebunden.
    SCHMIDT:
    Jetzt sind wir allerdings nicht mehr im Jahr 2013 , sondern mindestens bereits im Jahr 2023 .
    FISCHER:
    Okay. Aber sie müssen es 2013 denken, 2014 den üblichen europäischen Prozess eines Berichts einfädeln und so weiter. Es ist sicher ein Zehnjahresprojekt, aber ich behaupte, wenn die europäischen Staatsfrauen und Staatsmänner mit solchen Ideen mal rüberkämen, wäre das zum Beispiel für die Wahrnehmung des Euros an den Märkten eine ganz neue Perspektive, weil die Leute merken würden, die geben sich selbst eine Zukunft.
    DIE ZEIT:
    Von einem Putsch des Europäischen Parlaments, von dem Herr Schmidt vorhin sprach, halten Sie nichts?
    FISCHER:
    Das Europäische Parlament hat nicht die Macht für einen Putsch. Die einzige Macht, die das Parlament in Straßburg hat, ist nein zu sagen bei bestimmten Fragen. Es hat kein Initiativrecht. Und bei der Bewältigung der Eurokrise – wenn wir über Schuldenvergemeinschaftung, Altschuldenregelung, gemeinsame Schuldenneuaufnahme reden – reden wir über das nationale Budgetrecht, da ist das Europäische Parlament außen vor!
    SCHMIDT:
    Ich habe mir bei dem Wort vom Putsch des Europäischen Parlaments, den ich mir wünschen möchte, gedacht, dass das Europäische Parlament von sich aus ein Gesetz vorlegt, das die Altschulden regelt und die gegenwärtigen Schulden genauso.
    FISCHER:
    Das dürfen die nicht! Die haben kein Initiativrecht.
    SCHMIDT:
    Deswegen habe ich ja das Wort Putsch gewählt, weil man sich über geltendes Recht hinwegsetzen würde. Was ich im Sinne hatte, war eine bewusste Überschreitung der Kompetenzen durch das Parlament, wohl wissend, dass ein solches Gesetz einen Aufstand hervorruft und dass es einen Riesenkrach gibt.
    FISCHER:
    Eine konstitutionelle Krise wollten Sie also auslösen?
    SCHMIDT:
    Ja, wollte ich. Aber dass es dazu nicht kommen wird, weil nicht nur die Engländer nicht mitmachen würden, sondern auch die Dänen und die Schweden und die Polen und wer weiß ich …
    FISCHER:
    Der Gedanke gefällt mir immer mehr, je mehr wir darüber reden! Man könnte es in der Euro-Gruppe machen.
    SCHMIDT:
    Man könnte.
    FISCHER:
    Wenn man wollte.
    Die
Zeit:
Das ist der Aufruf, es zu tun! »Putscht endlich!«
    SCHMIDT:
    Es gibt noch jemanden, der den Aufstand proben könnte, das ist Mario Draghi. Draghi könnte eine große Rede halten und sagen: »Ich stehe vor dem und dem Problem. Ich weiß, dass ich meine Politik vielleicht noch zwei oder drei Jahre, aber sicherlich nicht zwanzig Jahre fortsetzen kann, weil sie zur großen Inflation und zum großen Preisverfall führen wird. Deswegen schlage ich vor: Erstens, zweitens, drittens.« Draghi wird es aber nicht tun.
    DIE ZEIT:
    Wenn man einen Putsch für nicht sehr wahrscheinlich hält, was ist dann konkret im Augenblick zu tun, was müssen die Regierungen jetzt beschließen, damit Europa aus der Krise inklusive Wachstumsproblem, Jugendarbeitslosigkeit und zunehmender Verarmung herauskommt? Klar ist, es wird Geld kosten, und daran schließt sich dann gleich die zweite Frage, die Frage der Vermittlung. Die Leute müssen davon überzeugt werden, dass es für sie gut ist, wenn das Geld nach Griechenland, nach Italien, nach Spanien fließt und nicht hier in die Verschönerung ihrer Vorstädte.
    FISCHER:
    Ich werde oft eingeladen zu Diskussionen über die europäische Krise und stehe oft vor einem Publikum von Mittelständlern, in dem FDP und CDU - CSU nach wie vor eine große Mehrheit haben. Die Leute sind überhaupt nicht dafür, den Italienern oder
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