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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land
Autoren: Isabel Allende
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Amphitheater, in dem wie Ameisen Tausende Männer von der Farbe der Erde das Erz aus den Felsen brechen. Der Zug kletterte in eine Höhe von über viertausend Metern, und das Thermometer fiel, bis das Wasser in den Gläsern gefror. Wir kamen am Salzsee von Uyunivorbei, an einem weißen Meer, wo reines Schweigen ist und keine Vögel fliegen, und an anderen Salzseen, an denen wir elegante Flamingos sahen: rosa Pinselstriche inmitten der juwelengleich glitzernden Salzkristalle.
    Der sogenannte Norte chico , der Kleine Norden, den einige nicht als eigenständige Region ansehen möchten, trennt den trockenen Norden von der fruchtbaren Mitte des Landes. Dort liegt das Tal des Elqui, ein spiritueller Pol der Erde, von dem es heißt, er sei magisch. Die geheimnisvollen Kräfte des Elqui locken Pilger an, die mit der kosmischen Energie in Verbindung treten wollen, und viele von ihnen bleiben, um in esoterischen Gemeinschaften zu leben. Meditation, östliche Religionen, Gurus sämtlicher Couleur, man findet alles im Elquital – als wäre man in einem Winkel von Kalifornien. Dort wird auch unser Pisco gemacht, gebrannt aus Muskatellertrauben, durchscheinend, heilkräftig und heiter wie die himmlische Kraft, die dieser Erde entströmt. Er ist der Grundstoff für den Pisco sour , unser süßes und durchtriebenes Nationalgetränk, das man sorglos genießt und das einem mit dem zweiten Glas einen Tritt versetzt, der den stärksten Mann umhaut. Den Namen des Getränks haben wir, mir nichts, dir nichts, der peruanischen Stadt Pisco abgeluchst. Wenn im Spanischen jeder perlende Wein Champagner genannt wird, einerlei, ob er aus der französischen Champagne kommt oder nicht, darf sich unser Pisco wohl ebenfalls mit einem fremden Namen schmücken. Im Norte chico wurde La Silla gebaut, eine der wichtigsten Sternwarten der Welt, denn dort ist die Luft so klar, daß kein Stern – ob gestorben oder im Werden begriffen – dem gigantischen Auge des Teleskops entgeht. Jemand, der dort dreißig Jahre tätig war, erzählte mir, um das Universum zu erforschen, müßten die bedeutendsten Astronomen der Welt manchmal jahrelang warten, bis sie an der Reihe seien. Ich bemerkte, es müsse herrlich sein, mit Wissenschaftlern zu arbeiten, die den Blick immer in die Unendlichkeit richtetenund losgelöst vom irdischen Jammer lebten, aber wenn man ihm glauben darf, ist das Gegenteil der Fall: Astronomen sind ebenso engstirnig wie Dichter. Sie zanken sich um die Marmelade beim Frühstück. Verblüffend, wie der Mensch beschaffen ist.
    Das Valle central , Zentralchile, ist die fruchtbarste Gegend des Landes, wo Wein und Äpfel wachsen und sich Industrien und ein Drittel der Bevölkerung ballen, die Einwohner der Hauptstadt. Santiago wurde hier von Pedro Valdivia im Jahr 1541 gegründet, denn nachdem er monatelang durch den trockenen Norden gewandert war, fühlte er sich, als habe er den Garten Eden gefunden. In Chile konzentriert sich alles in der Hauptstadt, trotz der schon ein halbes Jahrhundert währenden Bemühungen unterschiedlicher Regierungen, die Provinzen zu stärken. Man könnte meinen, was nicht in Santiago geschieht, habe keine Bedeutung, dabei lebt es sich im übrigen Land tausendmal angenehmer und ruhiger.
    Die Zona sur , der Süden, beginnt in Puerto Montt, vierzig Grad südlicher Breite, eine verwunschene Region der Wälder, Seen, Flüsse und Vulkane. Regen und noch mehr Regen nährt das dichte Grün der kalten Urwälder, in denen unsere einheimischen, tausend Jahre alten Bäume wachsen und heute von der holzverarbeitenden Industrie bedroht werden. Nach Süden durchquert der Reisende windgepeitschte Steppen; dann perlt das Land aus in einem Rosenkranz unbewohnter Inseln und milchiger Nebel, in einem Labyrinth aus Fjorden, Klippen, Passagen. Überall Wasser. Die letzte Stadt auf dem Festland ist Punta Arenas, das zernagt von allen Winden, schroff und stolz auf die Hochebenen und Gletscherzungen blickt.
    Chile besitzt ein Stück des kaum erforschten antarktischen Kontinents, eine Welt aus Eis und Einsamkeit, unendliches Weiß, wo Fabeln gedeihen und der Mensch zugrunde geht– unsere Fahne flattert am Südpol. Lange Zeit maß niemand der Antarktis einen Wert bei, doch wissen wir mittlerweile, daß sie nicht nur ein Paradies für Meerestiere ist, sondern auch einen großen Reichtum an Bodenschätzen birgt, also gibt es kaum ein Land, das nicht ein Auge auf sie geworfen hätte. Mit einem Kreuzfahrtschiff kann man sie im Sommer einigermaßen
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