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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land
Autoren: Isabel Allende
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bequem besuchen, aber das ist teuer, und so unternehmen zur Zeit nur reiche Touristen und arme, aber unbeirrte Naturliebhaber diese Reise.
    Im Jahr 1888 annektierten wir die rätselhafte Osterinsel, den »Nabel der Welt« oder Rapa Nui, wie sie in der Sprache der Inselbewohner heißt. Sie liegt verloren im weiten Pazifischen Ozean, zweitausendfünfhundert Meilen vom chilenischen Festland entfernt, etwa sechs Flugstunden von Valparaíso oder Tahiti. Mir ist nicht recht klar, warum sie uns gehört. Damals reichte es wohl, daß der Kapitän eines Segelschiffs seine Fahne irgendwo aufpflanzte, und schon hatte er sich ein Scheibchen des Planeten unter den Nagel gerissen, einerlei, was die Bewohner, in diesem Fall friedfertige Polynesier, davon hielten. So verfuhren die europäischen Staaten – da konnte Chile nicht zurückstehen. Für die Bewohner der Osterinsel war der Kontakt mit Südamerika fatal. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatte man die meisten männlichen Bewohner nach Peru verschleppt, wo sie als Sklaven im Guanoabbau schuften mußten, bis die Mißhandlungen schließlich solche Ausmaße annahmen, daß es in Europa zu Protesten kam. Nach langem diplomatischen Ringen brachte man die letzten fünfzehn Überlebenden zurück zu ihren Familien. Sie trugen das Pockenvirus in sich, und achtzig Prozent derjenigen, die auf der Insel verblieben waren, wurden binnen kürzester Zeit von der Krankheit hingerafft. Den übrigen erging es kaum besser. Die eingeführten Schafe fraßen die Insel kahl, zurück blieb blanker Lavaschutt, und die Untätigkeit der Herrschenden – mittlerweile der chilenischen Marine – gab die Bevölkerung demElend preis. In den letzten zwei Jahrzehnten kamen der Tourismus und das Interesse der Wissenschaft Rapa Nui zu Hilfe.
    Verstreut über der Insel finden sich monumentale Figuren aus vulkanischem Gestein, von denen einige über zwanzig Tonnen wiegen. Diese sogenannten Moais geben der Fachwelt seit Jahrhunderten Rätsel auf. Sie aus den Hängen der Vulkane herauszuhauen und dann über ein zerklüftetes Gebiet zu schleppen, sie auf Sockel zu wuchten, die häufig kaum zugänglich sind, und ihnen einen Hut aus rotem Stein aufzusetzen war eine Aufgabe für Titanen. Wer hat sie vollbracht? Es gibt keine Spuren einer Hochkultur, die eine solche Großtat erklären könnte. Zwei verschiedene Volksgruppen bewohnten die Insel, von denen eine, die Arikis, der Legende nach übernatürliche geistige Kräfte besaß, durch die sie die Moais anheben und ohne körperliche Mühe bis zu ihren erhöhten Altären schweben lassen konnten. Es ist ein Jammer, daß diese Technik verlorengegangen ist. 1940 baute der norwegische Anthropologe Thor Heyerdahl ein Floß, die Kon-Tiki, mit der er von Südamerika bis zur Osterinsel segelte, um zu beweisen, daß die Insel in Kontakt mit den Inka stand.
    Ich besuchte die Osterinsel Anfang des Jahres 1974, als es nur einen Flug in der Woche und kaum Tourismus dort gab. Verliebt in den Ort, blieb ich drei Wochen länger als geplant und erlebte so die erste Fernsehübertragung und einen Besuch von General Pinochet, der als Kopf der Militärjunta einige Monate zuvor der Demokratie ein Ende gemacht hatte. Das Fernsehen wurde freudiger begrüßt als der brandneue Staatschef. Sein Aufenthalt gestaltete sich überaus pittoresk, vielleicht könnte ich andernorts einmal ins Detail gehen. Hier sollte genügen, daß sich jedesmal, wenn er in der Öffentlichkeit sprechen wollte, eine kecke Wolke strategisch geschickt über seinem Haupt plazierte und ihn einweichte wie einen Wischmob. Er war gekommen, den Bewohnernder Osterinsel Eigentumstitel für ihr Land zu überreichen, aber niemand war sonderlich erpicht, sie entgegenzunehmen, denn man wußte von alters her, wem welches Land gehörte, und fürchtete mit gutem Grund, daß einem dieser amtliche Schnipsel Papier das Leben nur umständlicher machen würde.
    Zu Chile gehört auch der Juan-Fernández-Archipel, auf dessen größter Insel 1704 der schottische Freibeuter Alexander Selkirk ausgesetzt wurde, der Daniel Defoe die Vorlage zu seinem Roman Robinson Crusoe lieferte. Selkirk lebte über vier Jahre auf der Insel, ohne einen gelehrigen Papagei und ohne die Gesellschaft eines Eingeborenen namens Freitag wie im Buch, bis ihn ein anderer Kapitän rettete und zurück nach Britannien brachte, wo es ihm auch nicht viel besser erging. Der hartgesottene Tourist kann nach einem unruhigen Flug in einer kleinen Propellermaschine oder einer nicht
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