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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
Autoren: Bill Bryson
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der Kopf Ihres Kindes?« (Offenbar Lehrern mit Sympathien für die Kommunisten.) Kinderlähmung war so verbreitet, dass selbst die Zeitschrift House Beautiful in einem Artikel beschrieb, wie man die Risiken für seine Kinder klein halten konnte. Ihre (durch die Bank nutzlosen) Ratschläge lauteten dahingehend, dass man kein Essen offen herumstehen lassen, nicht in kaltem Wasser oder nasser Badekleidung sitzen, viel ausruhen und vor allem, mit aller gebotenen Vorsicht »neue Menschen in den Kreis der Familie aufnehmen« sollte.

    Was das Ökonomische betraf, schlug Harper’s im Dezember mit einem Artikel von Nancy B. Mavity einen düsteren Ton an. Es ging um ein beunruhigendes neues Phänomen, die Familie mit zwei Einkommen, in der beide, Mann und Frau, arbeiten gingen, um einen anspruchsvolleren Lebensstil finanzieren zu können. Mavitys Sorge galt nicht der Frage, wie Frauen mit den Anforderungen der Berufstätigkeit zusätzlich zu Kindererziehung und Hausarbeit fertig wurden, sondern was das alles für die traditionelle Rolle des Mannes als Ernährer bedeutete. »Ich würde mich schämen, meine Frau arbeiten zu lassen«, erzählte ein Mann Mavity pikiert und dem Tonfall ihres Artikels war zu entnehmen, dass sie davon ausging, dass ihr die meisten Leser zustimmen würden. Bis zum Krieg, sollte man an dieser Stelle vielleicht bemerken, konnten viele Frauen in den Vereinigten Staaten – ob sie wollten oder nicht – gar nicht arbeiten gehen. Bis Pearl Harbor hatte die Hälfte der 48 Staaten Gesetze, nach denen es verboten war, eine verheiratete Frau zu beschäftigen.
    In dieser Hinsicht war mein Vater jedoch vorbildlich – ja, mit Begeisterung – liberal, denn dass meine Mutter Geld verdiente, war ganz in seinem Sinne, ja ließ ihm das Herz im Leibe hüpfen. Auch sie arbeitete beim Des Moines Register , als Redakteurin in der Frau-und-Familien-Redaktion, und in dieser Eigenschaft redete sie zwei Generationen Hausfrauen beruhigend zu, die verzweifelt wissen wollten, ob die Zeit für Paisleymuster im Schlafzimmer gekommen sei, ob sie rechteckige oder runde Sofakissen nehmen sollten, ja, ob das Haus selbst modischen Standards entsprach. »Den Bungalow wird es immer geben«, versicherte meine Mutter ihren Leserinnen und Lesern, bevor sie verschwand, um mich zu kriegen, und in den westlichen Vororten schrie man vermutlich vor Erleichterung auf.
    Weil meine Eltern beide berufstätig waren, ging es uns besser als den meisten Leuten unserer sozioökonomischen Herkunft (was hieß: den meisten Leuten überhaupt in den Fünfzigern in Des Moines). Wir, das heißt, meine Eltern, mein Bruder Michael, meine Schwester Mary Elizabeth (Betty) und ich, hatten ein größeres Haus auf einem größeren Grundstück als die meisten Kollegen meiner Eltern. Es war ein weißes Schindelhaus mit schwarzen Fensterläden und einer großen überdachten Veranda auf einem schattigen Hügel im besten Viertel der Stadt.
    Meine Schwester und mein Bruder waren beträchtlich älter als ich – meine Schwester sechs Jahre, mein Bruder neun –, aus meiner Sicht also praktisch Erwachsene. Ja, sie waren so alt, dass sie den Großteil meiner Kindheit kaum noch zu Hause waren. In meinen ersten Lebensjahren teilte ich mir mit meinem Bruder ein Schlafzimmer. Wir verstanden uns gut. Mein Bruder war dauernd erkältet und hatte Allergien und besaß wenigstens 400 Stofftaschentücher, die er hingebungsvoll mit lautem Tröten vollschnaufte und dann in alle erreichbaren Lagerstätten schob – unter die Matratze, zwischen Sofakissen, hinter die Gardinen. Als ich neun war, ging er fort aufs College und lebte danach als Journalist in New York City, kam also nur noch zu Besuch zurück, und ich hatte das Zimmer für mich. Aber selbst als ich schon in der Highschool war, fand ich immer noch Taschentücher von ihm.
    Nachteilig an der Tatsache, dass meine Mutter arbeiten ging, war einzig und allein, dass sie, was Haushaltsführung und besonders die abendliche Verköstigung betraf, ständig unter Druck stand. Ehrlich gesagt, war das Ganze ohnehin nicht ihre starke Seite. Meine Mutter kam immer zu spät und war obendrein noch sehr vergesslich. Man lernte früh, sich ab zehn vor sechs abends im Hintergrund zu halten, denn dann kam sie durch die Gartentür gerannt, warf etwas in den Ofen, verschwand dann in einem anderen Teil des Hauses und beschäftigte sich mit tausend anderen Dingen, die jeden Abend im Haushalt auf sie warteten. Dadurch vergaß sie natürlich fast immer
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