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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
Autoren: Bill Bryson
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sind es 2500 Milliarden.
    Im Fernsehen gab es die erste Folge von Typisch Lucy am 15. Oktober; Roy Rogers, der singende Cowboy, trat im Dezember zum ersten Mal auf. Im Herbst nahm die Polizei in Oak Ridge, Tennessee, einen Jugendlichen unter dem Verdacht des Drogenbesitzes fest, weil er ein merkwürdiges braunes Pulver bei sich trug. Er wurde freigelassen, als sich herausstellte, dass es ein neues Produkt war, das Pulverkaffee hieß. Auch neu oder noch nicht ganz erfunden waren Kugelschreiber, Fastfood, Fertiggerichte (vorzugsweise vor dem Fernseher zu verzehren), elektrische Dosenöffner, überdachte Einkaufszentren, Freeways, Supermärkte, vorstädtische Zersiedelung, Klimaanlagen in Privathäusern, Servolenkung, Automatikgetriebe, Kontaktlinsen, Kreditkarten, Tonbandgeräte, Müllschlucker, Geschirrspüler, Langspielplatten, tragbare Plattenspieler, Major-League-Baseballteams westlich von St. Louis und die Wasserstoffbombe. Mikrowellenherde gab es schon; sie wogen aber über 300 Kilo, und bis es Flugreisen in Düsenflugzeugen, Klettverschlüsse, Transistorradios und Computer gab, die kleiner als ein kleines Haus waren, sollten noch ein paar Jahre ins Land gehen.
    Was den Leuten ständig im Kopf herumspukte, war der Atomkrieg. Am Mittwoch, dem 5. Dezember, waren die Straßen in New York sieben Minuten lang gespenstisch leer, denn da führte die Stadt, wie die Illustrierte Life berichtete, »die größte Luftschutzübung des Atomzeitalters« durch. Tausende Sirenen heulten, und die Leute hasteten (na ja, eigentlich schlenderten sie gutgelaunt daher und blieben auf Anfrage sogar stehen, um für Fotos zu posieren) in ausgewiesene Luftschutzräume, mit anderen Worten: ins Innere jedes einigermaßen massiven Gebäudes. Auf Life – Fotos sah man auch, wie Sankt Nikolaus fröhlich eine Kinderschar aus Macy’s hinausgeleitete, halb eingeseifte Männer und ihre Barbiere im Gänsemarsch aus den Friseursalons marschierten, kurvenreiche Mannequins von einem Bademoden-Fotoshooting zitternd und gutmütig Bestürzung heuchelnd aus Studios auftauchten, wohlwissend, dass ein Bild in der Life ihrer Karriere keineswegs schaden würde. Nur Restaurantgäste brauchten nicht an der Übung teilzunehmen, denn New Yorker, die ohne einen Dollar zu bezahlen aus einem Restaurant geschickt wurden, sah man dort wahrscheinlich nie wieder.
    Bei uns zu Hause verhaftete die Polizei bei der größten Razzia, die je in Des Moines stattgefunden hatte, im alten Cargill Hotel an der Ecke Seventh/Grand im Stadtzentrum neun Frauen wegen Prostitution. Eine wahrhaft großangelegte Operation! Achtzig Beamte stürmten kurz nach Mitternacht das Gebäude, doch die Damen mit Wohnsitz im Hotel waren nirgendwo zu finden. Erst nach sechs Stunden Suche und anstrengenden Messungen entdeckten die Polizisten eine Höhlung hinter einer Wand in einem oberen Stockwerk. Dort fanden sie neun meist nackte Frauen mit viel Gänsehaut. Alle wurden wegen Prostitution festgenommen und zu einer Geldstrafe von 1000 Dollar verurteilt. Ich frage mich allerdings, ob die Beamten genauso gewissenhaft gesucht hätten, wenn sie nackten Männern auf der Spur gewesen wären.
    Der 8. Dezember 1951 war der zehnte Jahrestag des Eintritts der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg und ein Tag nach dem zehnten Jahrestag des japanischen Angriffs auf Pearl Harbour. In der Mitte Iowas herrschten leichter Schneefall und vergleichsweise milde Temperaturen von — 2 °C, doch von Westen her näherten sich die dicken Wolken eines Blizzards. Des Moines, eine Stadt mit 200 000 Einwohnern, bekam an dem Tag zehn neue Bürger – sieben Jungen und drei Mädchen –, zwei Einwohner starben.
    Weihnachten lag in der Luft, und der Wohlstand zeigte sich nun auch überall in der Weihnachtsreklame. Zigarettenstangen mit Stechpalmenzweiglein und sonstiger weihnachtlicher Deko waren sehr beliebt, ebenso Elektrowaren aller Art. Technischer Firlefanz war sehr in Mode. Mein Vater kaufte meiner Mutter einen von Hand zu bedienenden Eiszerstoßer, mit dem man Eis für Cocktails bereiten konnte; er verwandelte einwandfreie Eiswürfel nach zwanzig Minuten beherzten Kurbelns in eine kleine Menge kühlen Wassers. Nach Silvester 1951 wurde er nie wieder benutzt, doch bis weit in die siebziger Jahre zierte er eine Ecke der Arbeitsplatte in der Küche.
    Verborgen in den freundlichen Anzeigen und fröhlichen Artikeln waren allerdings tiefsitzende Ängste. Im Herbst hatte Reader’s Digest nämlich gefragt: »Wem gehört
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