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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
Autoren: Bill Bryson
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das Abendessen, bis es einen Tick zu spät war. In der Regel wusste man, dass Essenszeit war, wenn man Kartoffeln im Ofen explodieren hörte.
    Wir nannten die Küche in unserem Haus auch nicht Küche, sondern Brandopfer-Station.
    »Es ist ein bisschen angebrannt«, sagte meine Mutter nämlich entschuldigend bei jedem Mahl und bot uns ein Stück Fleisch an, das wie etwas – vielleicht ein heißgeliebtes Haustier – aussah, das aus einem tragischen Hausbrand geborgen worden war. »Aber ich glaube, ich habe das meiste Verbrannte abgekratzt«, fügte sie immer hinzu und übersah dabei, dass das alles einschloss, was einmal Fleisch gewesen war.
    Zum Glück war das meinem Vater gerade recht. Da sein Gaumen ohnehin nur auf zwei Geschmäcker reagierte – angebrannt und Eiskrem –, fand er alles wunderbar, solange es ausreichend dunkel und nicht zu verblüffend wohlschmeckend war. Die Ehe meiner Eltern war wirklich im Himmel geschlossen worden, denn niemand konnte Essen anbrennen lassen wie meine Mutter und niemand es verspeisen wie mein Vater.
    Aus beruflichen Gründen musste meine Mutter stapelweise Schöner-Wohnen-Magazine kaufen. House Beautiful, House and Garden, Better Homes and Gardens, Good Housekeeping las ich also mit einer gewissen Gier, teils, weil sie immer herumlagen und in unserem Haus alle freien Momente mit Lesen verbracht wurden, teils, weil darin Lebensstile beschrieben wurden, die sich faszinierend von unserem unterschieden. Die Hausfrauen in den Zeitschriften meiner Mutter waren stets die Ruhe selbst, hervorragend organisiert, hatten die Dinge lässig im Griff, und ihr Essen war perfekt – ihr Leben war perfekt. Sie machten sich fein, um das Essen aus dem Ofen zu nehmen! An der Decke über ihren Herden waren keine schwarzen Kreise, über die Ränder ihrer vergessenen Töpfe kroch keine mutierende klebrige Masse. Sie mussten ihre Kinder nicht jedes Mal, wenn sie den Ofen öffneten, anweisen zurückzutreten. Und das Essen – Omelette surprise, Hummer Newburg, Hähnchen cacciatore – na, von solchen Gerichten träumten wir in Iowa nicht einmal, geschweige denn, begegneten wir ihnen.
    Wie die meisten Menschen in Iowa in den 1950ern waren wir in unserem Haus eher vorsichtige Esser. 1 Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen man uns Speisen vorsetzte, die uns nicht ganz geheuer oder vertraut waren – in Flugzeugen oder Zügen oder wenn wir zu einem Essen eingeladen waren, das jemand gekocht hatte, der nicht aus Iowa kam –, hoben wir das Angebotene mit dem Messer behutsam an und untersuchten es von allen Seiten, als gelte es herauszufinden, ob es nicht doch entschärft werden müsse. Als mein Vater einmal zu Besuch in San Francisco war, gingen Freunde mit ihm in ein Chinarestaurant, und er schilderte es uns später in den ernstesten Tönen wie jemand, der von einer Nahtoderfahrung berichtet.
    »Und wisst ihr, sie essen mit Stäbchen«, fügte er sachkundig hinzu.
    »Ach, du liebe Güte!«, sagte meine Mutter.
    »Ich hätte lieber Gasbrand, als das noch einmal durchmachen zu müssen«, fügte mein Vater bitter hinzu.
    In unserem Hause aßen wir nicht:

Pasta, Reis, Doppelrahmfrischkäse, saure Sahne, Knoblauch, Majonäse, Zwiebeln, Corned Beef, Pastrami, Salami, überhaupt ausländische Nahrungsmittel, egal, welche – außer armen Rittern, obwohl sie französischer Toast heißen;
Brot, das nicht weiß war und zumindest zu 65 Prozent aus Luft bestand;
Gewürze, außer Salz, Pfeffer und Ahornsirup;
Fisch, der eine andere als rechteckige Form besaß und nicht leuchtend orangerot paniert war (und wenn nicht Freitag war oder meine Mutter daran gedacht hatte, dass Freitag war, was selten geschah);
Suppen, die nicht den heiligen Namen Campbell’s trugen (und auch von denen viele nicht);
Dinge mit dubiosen regionalen Namen wie »pone« (das war Maisbrot) oder »gumbo« (Okra) oder etwas, das irgendwann einmal durchaus geschätztes Grundnahrungsmittel von Sklaven oder Bauern gewesen war.

    Alle anderen Arten Essen – Currygerichte, Enchiladas, Tofu, Bagels, Sushi, Couscous, Jogurt, Grünkohl, Ruccula, Parmaschinken, jedwede Käsesorte, die nicht kräftig leuchtend gelb war und so glänzte, dass man sich darin spiegeln konnte – waren entweder noch nicht erfunden oder uns noch nicht bekannt. Wir waren wirklich Essenskulturbanausen. Ich weiß noch, wie überrascht ich war, als ich in schon fortgeschrittenem Alter erfuhr, dass ein Krabbencocktail nicht, wie ich immer gedacht hatte, ein vor dem Essen zu
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