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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge
Autoren: Keren David
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zu, dass du selbst mitgemacht hast. Jeder, der bei dieser Messerstecherei dabei war, muss voller Blut und Schmutz gewesen sein, und alle Leute im Bus haben ausgesagt, dass du absolut sauber warst. Es wäre also schwierig, dir eine Beteiligung nachzuweisen   – also dass du mit den anderen zusammengearbeitet hast. Natürlich hättest du Schmiere stehen können, aber in dieser Richtung ermitteln wir nicht. Wir haben auch deinen |353| Computer überprüft, auf deiner Festplatte ist absolut nichts, was dich mit irgendwelchen Bandenmachenschaften in Verbindung bringt.«
    Ich male mir aus, wie sie meinen Laptop durchforsten und jede Mail gelesen haben, die ich je geschrieben habe, jedes Wort des Tagebuchs, das ich eine Weile geführt habe   – es handelt hauptsächlich von Maria aus dem Tattoo-Studio   –, und ich komme mir vor, als hätte jemand gerade in meiner Unterwäscheschublade herumgewühlt oder mich beim Schlafen gefilmt. Es ist nicht angenehm, ausspioniert zu werden.
    »Kann ich mit ihm reden? Mit Arron?«
    »Nein, Ty. Du bist ein Zeuge in der Verhandlung gegen ihn.«
    Seit Monaten mache ich mir Sorgen, dass Arron und seine Familie mich dafür hassen, dass ich zur Polizei gegangen bin. Seit Monaten habe ich mich gefragt, wer eigentlich hinter mir her ist. Aber wenn ich in aller Ruhe drüber nachdenke, weiß ich schon, vor wem ich mich in Acht nehmen muss. Ich beschuldige denjenigen, der den Jungen in Arrons Messer geschubst hat.
    »Na gut«, sage ich. »Warum nehmen sie dann nicht Jukes’ Familie fest? Sie wissen doch, dass die damals die Bombe geworfen und meine Gran krankenhausreif geschlagen haben, oder? Warum können Sie die nicht einsperren?«
    Er seufzt. »Eine verständliche Frage. Das Problem sind die Beweise. Das sind organisierte Berufsverbrecher. Vermutlich geht mindestens die Hälfte aller Drogen, die in |354| North London im Umlauf sind, durch ihre Hände. Sie haben überall ihre Leute und an Geld mangelt es ihnen auch nicht. Nichts, was dir und deinen Verwandten zugestoßen ist, kann man ihnen direkt nachweisen. Es ist extrem schwierig, jemanden dazu zu bringen, gegen sie auszusagen, und stichhaltige Beweise dafür zu bekommen, dass sie für irgendeins dieser Verbrechen verantwortlich sind, ist äußerst knifflig.«
    Klare Frage, klare Antwort, denke ich. Bloß komme ich mir jetzt ein bisschen dumm vor, weil ich damals, als wir zur Polizei gegangen sind, überhaupt nicht kapiert habe, welches Risiko ich damit eingehe. Wie will die Polizei Arron im Knast schützen? Hat er Jukes und Mikey in seiner Aussage überhaupt erwähnt?
    Dann sagt DI Morris auf einmal: »Schön, mein Junge, dann benimm dich ab jetzt!«, und die Beamten ziehen ab. Ich bleibe auf dem Dach allein.
    Ich lege mich wieder auf den Rücken und schaue zu den Möwen hoch. Und ich bin wieder im fernen, fernen London, renne in den Park zurück, zu Arron.
    Ich sehe gleich, dass der Junge tot ist. Er sieht so was von tot aus   – keine Frage. Überall ist Blut. Aber Arron schüttelt den Jungen verzweifelt und schreit ihn an: »Wach auf, Mann, es kommt gleich Hilfe! Alles wird wieder gut!«
    »Komm schon, Arron, lass ihn liegen. Du kannst ihm nicht mehr helfen.«
    »Halt’s Maul, Mann!«
    »Los, Arron, du kannst immer noch abhauen.«
    |355| »Halt dein dummes Maul, Ty!«
    Also ziehe ich mein Messer. Und fuchtle damit vor seinem Gesicht herum. Und schnauze ihn an: »Du tust, was ich dir sage!«
    »Zwing mich doch, Schwuli!«
    Ich hole mit dem Messer nach seinem Arm aus. Stoße fester zu, als ich eigentlich wollte. Er blutet und keucht und schaut mich an, als hätte er mich noch nie gesehen.
    Das Komische ist, dass manchmal, wenn ich dran denke, mein Messer tief in seinen Arm schneidet und das Blut wie ein Springbrunnen raussprudelt. Manchmal ritze ich aber auch nur die Haut auf und aus der feinen Linie treten ein paar Blutstropfen. Ich habe keine Ahnung, welche Erinnerung die richtige ist. Ich habe beide schon tausendmal in Gedanken durchgespielt.
    Wir laufen den Weg runter, die Sirenen heulen immer lauter. Dann rennen wir zwischen Bäumen und Büschen hindurch zu dem Stück Zaun, der direkt an seinen Wohnblock grenzt. Erstaunlicherweise sieht uns niemand, als wir durch die Haustür stürmen und den Fahrstuhlknopf drücken.
    Unglaublicherweise kommt der Fahrstuhl sogar   – sonst ist er dauernd kaputt   – und wir sind allein in der nach Pisse stinkenden Kabine. Und dort sieht mich Arron an und sagt: »Das hätte ich dir echt
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