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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge
Autoren: Keren David
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gestern, als sie wieder in die Schule gegangen ist.
     
    Der erste Tag ist um, und er war gar nicht so schlimm. Hast du mal die Vertrauenslehrerin kennengelernt? Zu der sollte ich gleich nach der Anwesenheitskontrolle. Es ist ein bisschen anstrengend, mit ihr zu reden   – sie ist superneugierig und hat alle möglichen Vermutungen über dich und mich angestellt   –, aber sie hatte auch eine gute Idee. Sie hat vorgeschlagen, dass ich mir in meiner neuen Klasse vier Mädchen aussuche, und dann hat sie sie hergebeten, damit ich mit ihnen über das rede, was passiert ist, und sie mich sozusagen in der Klasse ein bisschen in Schutz nehmen, den anderen sagen, dass sie mich in Ruhe lassen sollen und so.
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Ich habe Evie, Anna, Zoe und Jasmine aus meinem Sportkurs genannt   – kennst du die? Ich glaube, sie sind okay. Jedenfalls haben sie mich weder geärgert noch geschnitten.
    Sie waren ziemlich verlegen, als sie reingekommen sind. Miss Wilson hat ihnen erklärt, was sie von ihnen möchte, und ich dachte, das haut nie hin. Aber dann hat sie uns allein gelassen, und ich habe mich ein bisschen mit ihnen drüber unterhalten, warum ich mich geritzt habe und wie es sich angefühlt hat und warum alles schiefgelaufen ist und wie es mir jetzt geht. Dabei war mir richtig übel und ich hab mich geschämt, aber sie waren total nett und meinten, dass es ihnen leidtut, dass sie nie mit mir geredet haben und nicht wussten, was überhaupt los war. Besonders Anna ist lieb, sie hat gleich gefragt, ob wir am Samstag zusammen shoppen gehen wollen.
    Sie haben sich auch nach dir erkundigt. Sie wollten wissen, ob du dich auch geritzt hast, und ich habe Nein gesagt, auf gar keinen Fall, und dass du derjenige warst, der mir das Leben gerettet hat und dafür gesorgt hat, dass ich damit aufhöre. Ich hab nämlich wirklich damit aufgehört. Dann haben sie gefragt, warum du so plötzlich verschwunden bist, und ich habe gesagt, dass deine Mutter wieder nach London zurückwollte.
    Danach sind wir in die Klasse, und in der Pause und beim Mittagessen bin ich mit ihnen rumgehangen und niemand hat mich blöd angemacht. Carl und Brian haben mich nach dir gefragt, und ich habe gesagt, ich glaube, dass es dir gut geht, und habe ihnen auch das mit London erzählt. Carl meinte, in dem Fall verzeiht er dir, dass er den Schrank mit
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den Fundsachen allein fertig aufräumen musste. Ist doch nett von ihm, oder?
    Fängst du auch auf einer neuen Schule an? Schreibst du mir mal und erzählst mir davon? Geht es dir gut? Ich liebe dich ganz doll, Claire x
     
    Ich lese die Mail zu Ende und drücke auf »Antworten« und dann starre ich eine Weile auf den Bildschirm und überlege, was ich schreiben soll. Erst fällt es mir gar nicht auf, aber meine Augen sind irgendwie feucht und der Bildschirm verschwimmt immer wieder, als ich tippen will. Ich habe meine blöde Brille abgesetzt, weil ich davon Kopfweh kriege.
    »Alles in Ordnung?«, erkundigt sich die nette Bibliotheksaufsicht. »Es hat nämlich schon vor zehn Minuten geklingelt.«
    Ich reibe mir die Augen. »Oje, da krieg ich gleich an meinem ersten Tag Ärger.«
    »Keine Bange, das verstehen die schon. Sag einfach, dass du dich verlaufen hast. Wo musst du denn hin?«
    Ich hole meinen Stundenplan raus. »Mathe. A7.«
    »Soll ich dir zeigen, wo das ist?«
    »Ja bitte, aber ich muss erst schnell noch was schreiben.«
    Ich glaube, jeder andere Lehrer hätte auf den Stundenplan geklopft und mich davongejagt, aber sie wartet geduldig, bis ich schließlich schreibe:
Habe endlich einen Computer gefunden, den ich benutzen kann. Bald mehr. Du fehlst mir, ich liebe dich auch, Jx
    |365| »So, fertig!«
    Ich stehe auf und sie fragt: »Musst du denn deine Brille nicht wieder aufsetzen?«, und sieht mich an, als ob sie mich für ein bisschen seltsam hält.
    Sie führt mich durch einen langen Flur und zeigt die Treppe hoch. »Durch die Schwingtür, dann links, dann ist es die zweite Tür rechts.« Sie setzt hinzu: »Herzlich willkommen in der Trenton-Jungenschule. Ich bin Miss Knight. Wenn du mich brauchst, findest du mich in der Bibliothek.«
    »Ich bin Jo   … Jake«, erwidere ich und sie sagt: »Wenn du mal Hilfe brauchst, komm einfach vorbei.«
     
    Als ich nach Hause komme, sitzt Doug am Wohnzimmertisch, aber das macht mir inzwischen nicht mehr groß was aus, deshalb erzähle ich ihm und Mum, wie viel ich an der neuen Schule lernen muss und dass ich Spanisch wähle, was natürlich unerlässlich ist, wenn man
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