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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge
Autoren: Keren David
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nicht zugetraut. Keine Sorge, ich sag keinem was.«
    Zum ersten Mal seit Jahren sehe ich so was wie Respekt in seinem Blick   – zumindest hat er jetzt mitgekriegt, dass ich genauso viel wert bin wie er. Er verachtet mich nicht |356| mehr. Aber sofort überlege ich, was für eine Art Respekt ich mir da eigentlich verdient habe, und seitdem verknotet mir diese wirre Frage das Hirn. Weil ich diesen Respekt nämlich gebraucht habe, und zwar dringend!
    Manchmal träume ich von diesem Augenblick und bin total erleichtert   – ich bin kein Muttersöhnchen mehr, ich bin jetzt ein richtiger Mann   –, aber meine Freude darüber lässt schlagartig nach, wenn mir einfällt,
warum
mich Arron auf einmal so anschaut, und dann bin ich wieder nur ein formloser Klumpen Nichts. Es ist einer meiner schlimmsten Albträume, weil Scham schlimmer sein kann als Angst. Und dann wache ich auf und verachte mich für meinen Egoismus, weil nichts von dem, was mit mir passiert ist, irgendeine Bedeutung hat, verglichen mit dem, was dem Jungen mit dem iPod passiert ist.
    Als der Fahrstuhl hält, atmet Arron nur noch stoßweise und bricht in meinen Armen zusammen; eng umschlungen torkeln wir die letzten Meter und fallen gegen seine Wohnungstür. Seine Mum hört den dumpfen Schlag und macht auf. Wir stolpern in die Wohnung und sie sieht das Blut runterlaufen. Da fängt sie an zu schreien und fällt auf die Knie. »Jemand hat ihn niedergestochen!«, keuche ich. »Tun Sie was!«
    Zum Glück übernimmt sofort ihr Krankenschwesterninstinkt. Sie legt Arron einen Druckverband an und ruft einen Krankenwagen.
    Als die beiden weg sind, ziehe ich ein paar von Arrons Sachen an, wische das Messer an meinen blutigen Klamotten ab und stopfe sie in eine Plastiktüte.
    |357| Ich gehe nach Hause, setze den Kessel auf und übergieße das Messer mit kochendem Wasser, dann lege ich es wieder in die Besteckschublade. Die Tüte verschwindet unter meinem Bett, dann gehe ich duschen. Nicki brauche ich nichts erklären, weil sie beim Karaoke-Abend in der Eckkneipe ist.
    Ich rolle mich auf dem Sofa zusammen und kann nur noch an Blut und Tod und an Arron und den Jungen denken. Aber dann höre ich es klopfen und ich schleiche hin und mache die Tür auf und Nathan platzt rein. Er schwitzt und zittert und sagt: »Die haben ihn festgenommen. Die Arschlöcher im Krankenhaus haben die Bullen gerufen. Sie haben ihn verhaftet.«
    Dann schiebt er sein Gesicht ganz dicht vor meins und sagt, ich soll gefälligst die Klappe halten, und ich sage: »Ist gut, ich sag ja nichts.« Die ganzen letzten Monate habe ich immer gedacht, er wollte mir drohen, aber inzwischen frage ich mich, ob er mich nicht eher schützen wollte, mich aus allem raushalten. Nathan kann einem echt Angst machen, aber ich hatte eigentlich immer den Eindruck, dass er mich gut leiden kann. Und vielleicht hat er gewusst, wozu Jukes’ Familie fähig ist.
    Am nächsten Tag behaupte ich, ich bin krank und kann nicht in die Schule, und Mum ruft Gran an und fragt sie, ob sie kommen und sich um mich kümmern kann. Gran macht mir Toast und Tee und legt mir die Hand auf die Stirn und sagt: »Vielleicht kriegst du ja Fieber, mein Schatz, leg dich mal gleich wieder hin.«
    Dann liest sie Zeitung und hört Radio. Sie ruft Mum |358| an und bittet sie, wieder nach Hause zu kommen. Als sie da ist, setzt uns Gran beide vor die Mittagsnachrichten und wir sehen uns eine Pressekonferenz an. Es geht um einen Mord mit möglicherweise rassistischen Motiven. Eine Pressekonferenz von Mr und Mrs Williams, den trauernden Eltern des vierzehn Jahre alten Rio Williams.
    Die Eltern bitten die Bevölkerung um Hilfe, bitten eventuelle Zeugen, die sich zur Tatzeit im Park aufgehalten haben, sich zu melden. Vor allem den Jungen, der den Bus angehalten hat. Sie liefern eine ziemlich zutreffende Beschreibung von mir   – grüne Augen, braune Haare, grauer Kapuzenpulli   – und Gran sieht mich nur an. Dann sagt sie ihren Spruch mit dem jungen Menschen, der gestorben ist, und seiner armen Familie, und dann gehen wir zur Polizei.
    Die Beamten nehmen meine Aussage auf, in der ich Jukes, Mikey und Arron nenne, dann gehen sie mit uns in die Kantine, wo ich Chips und Kekse mit Vanillefüllung kriege. Dann bringen sie uns nach Hause und, na ja, der Rest ist ja bekannt.

|359| Kapitel 30
Fish ’n’ Chips
    Wieder ein erster Tag in einer neuen Schule. Diesmal ist die Schule strenger, altmodischer, eher so wie St. Saviours, nur ohne die Religion, aber auch
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