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Meerhexe

Meerhexe

Titel: Meerhexe
Autoren: Irma Krauss
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Kleid reinzuspringen, um Simon den Trottel zu retten.
    Ich lasse ihn los und sehe erst jetzt, dass die ganze Klasse da draußen versammelt ist und die Luft anhält. Simon taucht auf. Er prustet und keucht und spuckt. Dann fängt er an, wild nach mir zu schlagen. Dabei bin ich längst fertig mit ihm, seinetwegen lade ich mir doch keinen Mord auf!
    »Hol mein Handtuch raus«, sage ich so eisig, wie mir ist. Auch ich atme schwer, natürlich.
    »Warst du das?«, fragt Frau Mallich Simon und zeigt auf mein abgesoffenes Badehandtuch.
    Simon die Ratte antwortet nicht.
    »Jaaa!«, kommt es vielstimmig aus Brittas Ecke.
    »Hol es heraus!«, befiehlt Frau Mallich in einem Ton, der Simon sehr schnell abtauchen lässt.
    »Entschuldige dich«, bellt sie etwas verfrüht, denn er kann sie noch gar nicht hören.
    Mich zieht sie heraus, dann wickelt sie mich in eins der Badetücher, die ihr die Mädchen auf ihren Wink hin gebracht haben. Sie beobachtet mich, als wäre ich jederzeit imstande, sie mit dem Kopf ins Becken zu tauchen und blubbern zu lassen. Dazu murmelt sie: »Wie kann man nur so überreagieren, Madeleine? Was ist denn in dich gefahren? So ein Jähzorn, weißt du, der kann einem ja … der kann einem ja Angst machen!«
    »Die Ratte hat höchstens einen halben Liter geschluckt«, sage ich zahm und lächle Frau Mallich beruhigend an. Niemals würde ich sie blubbern lassen. Denn sie hat mich zu keinem Demo-Startsprung gezwungen, obwohl sie von früher her weiß, wie gut ich bin. Sie hat mich auch nicht gefragt, ob mir nicht zu kalt im Wasser sei. Und sie hat mich sofort in ein trockenes Badetuch gewickelt. Ich glaube, sie hat mehr Einfühlungsvermögen als meine beste Freundin Britta.

    Als wir uns anziehen, ist ein großes Hallo in unserem Raum. »Dem hast du’s gegeben, Madeleine«, kriege ich begeistert zu hören. Bis auf Carolin, die schon mal mit Simon Händchen gehalten hat und jetzt aufs Klo verschwunden ist, sind alle auf meiner Seite. Das nennt man wohl Solidarität. Sogar Heidi schaut mich gedankenvoll an. Rahime und Aysun, die zu Hause den Männern und Jungen gegenüber auf Unterwürfigkeit getrimmt werden, betrachten mich voller Respekt und heimlichem Grausen - sie sehen plötzlich aus, als würden sie in ihren dicken Klamotten frieren.
    Mir ist nicht mehr kalt, mir geht’s jetzt richtig gut. Ich bin ausnahmsweise mal ganz und gar mit mir zufrieden. Deshalb fällt mir auch auf dem Rückweg zur Schule ein, dass Franziska mit Nachnamen Liebig heißt. Für solche Erleuchtungen braucht man eben einen unbeschwerten Kopf.
    Ich hole sie und Denise ein. »Franziska? Hast du zufällig einen Bruder namens Torsten?«
    »Sicher.« Franziska zuckt die Schultern, als müsse jeder ihre Familienverhältnisse kennen.
    »Wie alt ist er? Fünfzehn?«
    Sie bleibt stehen. »Ja, warum?«
    »Ooch«, sage ich, »der nimmt bei meiner Oma Klavierstunden.«
    »Echt? Seine neue Lehrerin, das ist deine Oma?«
    Ich nicke.
    Franziska grinst. »Dann spielt die also auch Klavier!« Von meiner Mutter und von meinem Vater weiß man es schon.
    »Sie war die Erste«, stelle ich klar.
    Britta, die meine Oma kennt und nicht weiter an ihr interessiert ist, legt jetzt los: »Mensch, Franzi, warum hast du nie erzählt, dass du einen älteren Bruder hast?«
    Franziska verdreht wortlos und irgendwie vielsagend die Augen. Bevor ich mir selbst einen Reim darauf machen muss, klärt uns Denise auf: »Torsten ist der größte Langweiler, den ihr euch vorstellen könnt. Wenn er nicht Klavier klimpert, hockt er am Computer und spielt ein doofes Spiel.«
    Franziska nickt gelassen dazu, anstatt sich aufzuregen. Also ich, wenn ich einen Bruder hätte … Aber ich hab leider gar nichts. Natürlich würde ich mir nicht gerade Torsten zum Bruder wünschen. Denn dann könnte ich mich ja nicht in ihn verlieben. Torsten gehört garantiert nicht zu den Leuten, die so bösartig sind, einem dicken Mädchen das Badetuch ins Wasser zu werfen.
    »Besuch mich, dann zeig ich ihn dir«, sagt Franziska zu Britta und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Aber warum lädt sie mich nicht ein? Ich hab sie doch nach Torsten gefragt!
    Weil ich heute wirklich gut drauf bin, sage ich beherzt: »Ich komme mit!« Normalerweise lade ich mich nicht selbst ein, ich will mich ja nicht aufdrängen.
    »Klar kommst du mit, Madeleine«, sagt Franziska, ohne zu zögern.
    »Wann?«, will Britta wissen.
    »Egal. Heute, wenn ihr wollt. Wir haben nichts weiter vor. Oder, Denise?«
    Denise schüttelt
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