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Meerhexe

Meerhexe

Titel: Meerhexe
Autoren: Irma Krauss
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ein Männerhemd überzuwerfen?«
    »Wenn du das nicht siehst!«, fauche ich.
    »Wenn ich was nicht sehe? Du bist fast vierzehn und entwickelst dich und bekommst genug Geld, um dir hübsche Klamotten zu kaufen, die deine Figur hervorheben.«
    »Meine was? « , kreische ich.
    Mein Vater schüttelt den Kopf. »Siehst du denn nicht, dass du eine hübsche Figur kriegst?«
    Ich verknäule die Hemden und vergrabe stöhnend mein Gesicht darin. »Hübsche Figur? Ich bin ein Walross. Ich hab mir heute einen Badeanzug gekauft!«
    »Lass sehen«, sagt mein Vater und lacht. »Zieh ihn mal an, Lenchen.«
    »NEIN!«, schreie ich, überlege aber doch kurz, ob ich ihm den Badeanzug nicht vorführen soll, gewissermaßen als Test für morgen. Vielleicht ist mein Anblick gar nicht so schrecklich peinlich? Ach, lieber doch nicht. Morgen im Freibad kann ich wenigstens das Badehandtuch um mich wickeln.
    Schnell das Thema wechseln. »Was ist jetzt mit den Hemden?«, frage ich und halte sie hoch.
    Mein Vater zuckt die Schultern. »Du kannst sie haben.«
    Ich bedanke mich und lade ihn zum Fernsehen in mein Zimmer ein - im Wohnzimmer wird den ganzen Abend über geprobt. Wir beide mögen Tiersendungen und so eine kommt heute. Die Hausaufgaben habe ich schon zwischen Mittagessen und Einkaufen hingefetzt. Darin bin ich ziemlich schnell. Woraus Oma gerne schließt, dass ich eine Menge Hirn habe.
    Mein Vater bringt eine Tüte Chips und eine halb volle Flasche Wein mit. Wir kuscheln uns auf meiner Bettcouch dicht aneinander. Die Chips teilen wir uns, den Wein macht er ganz alleine nieder.
    Als meine Mutter Kenneth Smith hinausgelassen hat und uns besichtigen kommt, schüttelt sie nur milde den Kopf.
    Mein Vater winkt mit der leeren Flasche. »Kann dir leider nichts mehr anbieten, Alicia...«
    Ich liege an seiner Schulter und fühle mich sauwohl. Auch noch, als meine Mutter wieder gegangen ist.
    »Weißt du, dass du Glück hast, Lenchen?«, flüstert mein Vater und nickt zur geschlossenen Tür hin.
    »Wieso?«
    »Weil sie dich in Ruhe lässt. Weil sie selbst so viel Erfolg hat, dass sie nicht ihre Tochter darauf trimmen muss. Da hast du echt Glück, weißt du. Viele Kinder werden ständig überfordert von ihren ehrgeizigen Eltern. Sie müssen etwas erreichen, was ihre Eltern nicht geschafft haben.«
    »Und was ist mit dir?«, sage ich nach einer Weile. Ich finde nämlich, verglichen mit meiner Mutter, ist mein Vater nicht besonders erfolgreich. Als mir klar wird, dass er genau diesen Gedanken aus meiner Frage schließen kann, beiße ich mir auf die Lippe.
    Er lacht leise und drückt meinen Arm. »Mit mir hast du auch Glück. Denn ich habe keinen Funken Ehrgeiz. So bin ich nun mal. Wenn Oma mich nicht zum Üben gezwungen hätte - sie war der Ansicht, dass ich wirklich begabt, nur stinkfaul sei -‚ wenn sie mich also nicht dauernd geschoben hätte, wäre ich nie so weit gekommen. Ich habe mein Ziel überschritten. Das ist mehr, als die meisten Leute von sich behaupten können.«
    »Dazu kann ich nichts sagen...«
    »Sollst du auch nicht. Was übrigens dich betrifft, nun, da mache ich mir keine Sorgen. Du gleichst Alicia, du gehst deinen Weg. Du musst nur noch rausfinden, wohin. Hugh, ich habe gesprochen.«
    »Was?« Ich starre meinen Vater an. Ist er betrunken?
    »Das war von Karl May: ›Hugh, ich habe gesprochen. ‹ Kennst du das nicht, Madeleine? In meinem Zimmer stehen sechsundfünfzig Bände Karl May...«
    Ach so. Klar kenne ich diese Indianerschinken, er hat sie mir oft genug zum Lesen angeboten. Hugh, Graus! Schnell erkläre ich meinem Vater, dass ich jetzt todmüde bin und sofort schlafen muss.

Ein gefürchteter Tag, an dem ich ausnahmsweise mal ganz und gar mit mir zufrieden bin

    Das wirklich Gute am Schwimmen ist das Wasser. Es macht alle gleich, wenn man nicht genau hinschaut. Man taucht ein und ist weg. Nur noch der Kopf ragt raus und dagegen habe ich ja nichts. Ich sollte meine Haare erwähnen. Die sehen nass nicht schlechter aus als die Haare anderer Mädchen. Trocken schon. Trocken bin ich nicht mit ihnen zufrieden, weil sie sich für keine Farbe entscheiden können. Mal kommen sie mir blond vor und mal braun. Außerdem sind sie furchtbar dünn und glatt.
    Aber wenn ich mich hier so umschaue, siehe da: Auch die anderen Mädchen haben nasse, glatte, dünne, hingeklatschte Haare. Ich bin dafür, dass die Schule in Zukunft im Wasser stattfindet. Gleiche Chancen für alle.
    Nur hineinkommen muss man erst mal. Am Beckenrand liegen zwei
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