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Meerhexe

Meerhexe

Titel: Meerhexe
Autoren: Irma Krauss
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Abendbrot. Bleibst du zum Essen? Onkel Bangemann kommt auch.«
    »Ach, nein, danke. Ich sollte lieber...«
    Auf Onkel Bangemann, ihren Freund, bin ich nicht extra scharf. Er macht so ein Getue um mich und schaut mich an, als hätte ich eine Oberweite wie Britney Spears. Dabei ist mein Busen gerade mal eine Speckfalte mit zwei rosa Hütchen dran.
    Ich will aber nicht ungerecht sein. Ich glaube nicht, dass Onkel Bangemann ein altes Ferkel, sondern einfach nur nett und unbefangen ist. Nette, unbefangene ältere Herren denken sich vielleicht nichts dabei, ein Mädchen so anzugucken. Aber ich mag es eben nicht. Ich mag auch nicht, wenn er sich nach der Schule erkundigt oder wissen will, ob ich schon einen Freund habe.
    Ich, einen Freund! Selten so gewiehert.
    Oma schließt im Vorübergehen den Deckel ihres Klaviers. Sie unterrichtet für die Musikschule, aber die Schüler kommen zu ihr nach Hause. Sie hat meinem Vater schon Unterricht gegeben, als er noch ganz klein war. Und sie ist stolz darauf, dass er es weiter gebracht hat als sie. Er ist nämlich Klavierlehrer am Konservatorium.
    Die drei wichtigsten Menschen in meinem Leben spielen Klavier. Das reicht, finde ich. Es ist ein weiterer Grund, warum ich selbst damit aufgehört habe.

    Während der Heimfahrt träume ich von Torsten. Ich gucke an den Leuten in der S-Bahn vorbei, nachdem ich abgecheckt habe, dass Torsten nicht unter ihnen sitzt. Und dass auch sonst nichts Vergleichbares anwesend ist. Nur schlappe, ältere Zeitgenossen, die entweder von der Arbeit oder vom Einkaufen kommen.
    Ich spinne es mir aus: Wenn ich jedes Mal in Torstens Stunde platze, wird er irgendwann in meine grünen Augen schauen. Und dann, vielleicht … Es könnte immerhin sein, dass er darüber meine Figur vergisst.
    Als ich aussteige, pralle ich fast mit einem Typ zusammen, der aussieht wie … O mein Gott, Ulrich!
    Aber er ist es nicht. Ich drehe mich um und stiere in die wegfahrende Bahn hinein. Nein, er ist es wirklich nicht. Ulrich! Wie kann ich plötzlich wegen Torsten spinnen, wo ich doch in Ulrich verliebt bin!
    Ein warmes Gefühl steigt mir von den Zehen bis in den Kopf. Ulrich spielt übrigens auch Klavier. Logisch, als unser Musiklehrer. Der Vierte von den wichtigsten Menschen in meinem Leben. Ich sollte darüber nachdenken, ob ich nicht doch wieder mit Klavier anfange. Könnte ja sein, dass das der Schlüssel zu seinem Herzen wäre.
    Der Schlüssel zu seinem Herzen! Warum wird mir eigentlich nicht auf der Stelle übel? Woher habe ich solche kitschigen Gedanken?
    Ich beiße die Zähne zusammen und fange an zu laufen. Schlimm ist das mit mir. Ich sollte mich vielleicht mal besser mit Tierschutz oder mit Umweltschutz beschäftigen oder Menschenleben retten oder Verbrechen aufklären. Wie die Leute meines Alters in den Büchern, die ich gelesen habe. Die Liebe spielt bei denen höchstens eine Nebenrolle. Bin ich abartig oder sind sie es? Ich weiß nicht. Wahrscheinlich ich. Aber wenn ich mir die Mädchen in meiner Klasse anschaue, dann müssten die meisten von ihnen auch abartig sein.
    Daheim wartet Britta auf mich. Sie sitzt auf der Eingangstreppe. Die Arme hat sie nach hinten gestützt. Ich sehe ihren hübschen Bauchstreifen und darüber das winzige Top. Die Tüte neben ihr gleicht meiner aufs Haar. Glück gehabt, dass wir uns im Laden nicht über den Weg gelaufen sind! In einer Umkleidekabine bin ich nämlich am liebsten allein.
    »Hey«, ruft sie und steht auf, »deine Mutter hat gesagt, du bist auch einen Badeanzug kaufen gegangen! Warum haben wir’s nicht zusammen gemacht?«
    Ich klemme meine Tüte hinten in den Hosenbund und breite die Arme aus. »Für meine Größe gab’s keinen«, behaupte ich.
    Britta grinst. Sie greift um mich herum und schnappt sich meine Tüte. »Ich hab einen süßen gelben Bikini gekriegt. Und du?« Sie schaut hinein. »Oh!« Kurze Pause. »Schwarz steht dir bestimmt ganz toll!«, meint sie dann und zieht das Ding heraus.
    »Sicher«, knurre ich.
    In meinem Zimmer steigt Britta ungeniert aus ihren Klamotten. Ich will ja nicht starren, aber manchmal muss ich eben genau das anglotzen, was mir am meisten wehtut. Eine richtige Mädchenfigur nämlich. Mit schmaler Taille, kleinem Po und den dazu passenden niedlichen Brüsten. Was ist nur bei mir schiefgelaufen? Warum bin ich so ein plumpes Monster? Ich war doch nicht immer so. Erst letzten Sommer hat das angefangen.
    Der gelbe Bikini passt Britta wunderbar. Sie will sich im Spiegel betrachten, aber das
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