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Meerhexe

Meerhexe

Titel: Meerhexe
Autoren: Irma Krauss
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den Kopf. »Bring ein paar CDs mit«, sagt sie zu Britta. Mir traut sie anscheinend nicht zu, dass ich die richtige Musik habe. Vielleicht vermutet sie bei mir zu Hause nur stapelweise Klaviersonaten.
    Bevor ich aber etwas dazu bemerken kann, erinnert sich Britta an ihren Zahnarzttermin, den sie heute hat. Und mir fällt sofort ein, dass sie mich gestern schon inständig gebeten hat mitzukommen; mit mir zusammen wird sie es vielleicht überleben.
    Das Treffen bei Franziska wird verschoben.

Von einem armen Schwein (und noch zwei weiteren)

    Ulrich Falkenhauser ist im Februar neu an unserer Schule aufgetaucht, als Referendar für Musik. Es ist sein zweites Jahr als Lehrer. Er hat gerade erst sein Studium hinter sich. Deshalb kann man ihn rein äußerlich kaum von den älteren Schülern unterscheiden. Höchstens daran, dass er während der Pause nicht irgendwo rumknutscht, als Lehrer kann er das schließlich nicht machen. Und ehrlich gesagt wäre keine Lehrerin an unserer Schule als Partnerin dafür geeignet. Außer vielleicht Frau Mallich, aber auch die nicht. Sie ist zu alt für Ulrich. Normalerweise sollte der Mann älter sein, es dürfen ruhig zehn bis fünfzehn Jahre sein, habe ich im TV-Heft gelesen. Die Promis bringen es oft auf noch viel mehr. Daraufhin hab ich zu rechnen angefangen. Also, ich bin jetzt dreizehn (nicht mehr lange!), und Ulrich hat uns verraten, dass er fünfundzwanzig ist. Wenn ich mal im richtigen Alter von, sagen wir, achtzehn bin, ist der Altersunterschied zwischen uns immer noch zwölf. Von solchen Rechnungen wird mir richtig schwindlig!
    Nur, wenn ich so an mir runterschaue, komme ich ganz schnell auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Ulrich Falkenhauser wird mich wahrscheinlich nicht mögen.
    Er hat sowieso die große Auswahl. Allein in meiner Klasse reißen sich fast alle Mädchen um ihn. Jede will Ulrich helfen, wenn er zum Beispiel ein Taktstöckchen schleppt. Jede guckt noch schnell in den Schaukasten vor der Tür zum Musiksaal, wo man sich spiegelt. Und frisch gewaschene Haare sind am Musiktag eine Selbstverständlichkeit.
    Bei den Jungen nicht. Sie haben fettige Haare und glänzende Pickel, fallen wie Kartoffelsäcke in die letzte Sitzreihe und würden nicht mal dann einen Finger krumm machen, wenn Ulrich Falkenhauser statt des Stöckchens den Flügel tragen müsste. Krasser könnte der Gegensatz zu den Mädchen gar nicht sein. Denn die raufen sich auch um die vorderen Sitzplätze und würden am liebsten in Ulrich Falkenhauser reinkriechen.
    Fünf von uns Mädchen machen dabei eine Ausnahme. Erstens Britta - sie nimmt es Ulrich bekanntlich übel, dass sie nicht singen kann. Zweitens Heidi - ihr fehlt’s an Selbstwertgefühl, glaube ich. Drittens und viertens Rahime und Aysun - die haben wahrscheinlich Angst, dass es jemand ihren Vätern erzählt, wenn sie Ulrich versehentlich angeschaut haben. Fünftens ich. Ich halte mich total zurück. Weil ich die Einzige bin, die Ulrich wirklich liebt und versteht (das ist mehr als verliebt sein) und es überhaupt nicht zeigen darf - eine mit meiner Figur kann sich Schmachtblicke einfach nicht leisten.
    Heute haben wir von Franz Schubert gehört. Der war ein armes Schwein. (Ulrichs Worte; er dämpfte dabei die Stimme und schielte zur Tür.) Also, der arme Franzl hat ganz tolle Musik geschrieben und fast niemand hat es gemerkt. Erst jetzt, wo er schon so lange tot ist, weiß man es.
    An dieser Stelle hat uns Ulrich ein Klavierstück von Schubert vorgespielt, ein witziges, sodass sich einige von uns angeschaut haben, als wäre Klavierspielen gar nicht so übel. Es war eins dieser kleinen Stücke, die meine Mutter für die Konzertreise mit Kenneth vorbereitet, als Zugabe für ein begeistertes Publikum. Ich wusste sofort, dass Ulrich das beste davon ausgesucht hatte. Schlau von ihm! Sogar die Jungen kamen in ihren Stühlen hoch und fingen zu trampeln an.
    Dann ist Ulrich gleich am Flügel sitzen geblieben und hat weitererzählt. Dass der Franzl klein und dick war und ein Mädchen geliebt hat, eine aus dem Kirchenchor, aber die hat einfach einen anderen geheiratet. Das war schlimm für ihn. Er hat keine mehr abgekriegt und ist auch ziemlich jung gestorben.
    Ulrich guckte ein Weilchen auf die Tasten und es war mucksmäuschenstill im Raum. Dann sang er uns »Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus« vor. Ich kannte das Lied schon von Ken. Es ist eines von seinen ganz traurigen. Sowieso gehen fast alle Liebeslieder von Schubert schlecht
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