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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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ihm, pickte ihm das Handy aus der Hand und erhob sich damit, wie an Fäden gezogen, in die Luft. Ehe Adrian reagieren konnte, war sie außerhalb seiner Reichweite und flog hoch über ihm dahin. Den Umriss seines Handys konnte er unschwer in ihrem Schnabel erkennen.
    «Heh!», schrie er und streckte seine Hand aus. Seine leere Hand. Seine brennende Hand, die nach dem Zusammenstoß mit dem scharfen Schnabel schnell rot anlief. «Was glaubst du, was du da machst, Mistvieh!» Er hörte es hoch oben noch einmal klingeln, dann noch einmal. Dann rauschte nur noch der Wind. Verzweifelt schrie Adrian auf. Das gab es doch nicht, das konnte doch nicht wahr sein. Das war vollkommen irre. Er hörte sich schon, wie er seinem Prof erklärte: ‹Sorry, ich konnte ihr Gespräch leider nicht annehmen, ein Vogel hat mein Telefon entführt.› Bescheuert. Bescheuerte stellte man nicht ein, um Luxushotels zu bauen. Die strichen ihr Leben lang Zimmer in Broxton gegen Gotteslohn.
    «Scheiße!» Adrian war an den Rand der Klippen gelaufen, um die Flugbahn der Möwe zu verfolgen, die sich in Spiralen nach unten schraubte, bis sie sich nahe der Brandung auf einem Felsen niederließ. Dort saß sie, wie hingemalt. Er konnte sein Handy noch immer deutlich sehen. Klingelte es etwa schon wieder? Adrian war sich fast sicher, den hohen Ton durch das Donnern der Brandung hindurch zu hören. Die Möwe schien es nicht zu stören.
    «Scheißvieh! Hast du denn gar keine Instinkte?»
    Adrians Ausstattung an Instinkten hingegen sagte ihm, dass die Felsen zu steil waren, um hier hinunterzugelangen. Und ein kräftiges Schwindelgefühl unterstrich diesen Eindruck. Andererseits: Dubai. Und das dort drüben sah aus wie eine Fortsetzung des Pfades, auf dem er hierhergelangt war. Adrian verfolgte den sich windenden Verlauf mit den Augen, so weit es ging. Sein im Panikmodus arbeitendes Gehirn verdrängte erfolgreich Gedanken wie den, dass er ja auch einfach zu Tante Roses Cottage hätte gehen können, um vom Festnetz aus zurückzurufen. Viel zu undramatisch angesichts des Ernstes der Situation. Ohne es ausreichend durchdacht zu haben, machte er sich auf den Weg. Er hastete den schmalen, stark abschüssigen Erdpfad hinunter, so schnell er konnte, immer den verdammten Vogel im Blick, der sich jeden Augenblick wieder aufschwingen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden konnte. Er schwitzte fast vor Angst, wenn er ihn wegen eines Felsens einmal kurz aus den Augen verlor.
    Als der Pfad am Beginn eines Einschnittes jäh endete, musste Adrian einsehen, dass er in eine Sackgasse geraten war. Da gab es keinen Weg mehr, weit und breit nicht. Entweder endete der Weg hier, oder er war von Anfang an eine Illusion gewesen, nur eine ausgewaschene Rinne, nichts weiter. Unter ihm jedenfalls, umrahmt von zitternden Blüten, klaffte nun ein Felsspalt, der steil hinunterführte bis auf den Strand. Adrian, der sich auf den Bauch legte, um in den engen Kamin hineinspähen zu können, schätzte die Distanz bis zum Boden auf etwa acht Meter, vielleicht mehr. «Geschätzte drei Sekunden bis zum Aufschlag», murmelte er. Trotzdem tat er es.
    Früher, sagte er sich, beim Möweneier-Klauen mit Ned und den anderen, war das blanke Routine gewesen. Man stützte sich mit dem Rücken gegen die eine Wand und stemmte sich mit den Beinen an der gegenüberliegenden ab. Und dann ging’s stückchenweise. Ruck für Ruck. Da konnte gar nichts passieren. Man saß fast da wie ein Korken in der Flasche. Vorausgesetzt, es wurde nicht zu eng. Oder zu weit. Adrian führte eine letzte Schätzung durch – als Stararchitekt hatte man so etwas im Blick – und machte sich dann an den Einstieg.
    Es ging tatsächlich. Sogar besser, als er gedacht hatte. Völlig konzentriert setzte er Hände und Füße und achtete darauf, seinen Rücken gegen den Fels gepresst zu halten. Den Schmerz blendete er aus.
    «Geht doch prima», munterte er sich selber auf. Und als die Distanz größer wurde und seine Lage immer grotesker, wiederholte er diese Worte zu seiner Aufmunterung. Schon drückte er sich nicht mehr mit dem Becken, sondern mit der Brustwirbelsäule ab, das Kinn wurde ihm auf die Brust gepresst, und in seinen Beinen begann es zu krampfen. Er mühte sich ab, einen Blick nach unten zu werfen. Erleichtert sah er eine neue Verjüngung. Gleich würde es wieder besser werden, der Krampf würde nachlassen, der Kopf konnte sich aufrichten. Nur noch einmal nachsetzen, dann …
    Adrian verlor den Halt, gewann ihn kurz
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