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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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Entschluss und kehrte um. Wasser hin, Meer her. Es würde auch kein schöner Anblick sein. Sie lag seit gestern Nacht im Nassen, reichlich Zeit für Fische und Krebse. Sie fraßen die Augen zuerst, sagte man. Das hatten sie wohl auch bei seinen Eltern getan. Er wusste es nicht sicher, man hatte ihm die Leichen nicht gezeigt. Aber er hatte alles darüber gelesen, und in vielen Nächten seiner Kindheit hatte er es sich vorgestellt. Wie sie mit ihren weichen Mäulern an dem toten Fleisch rupften, bis sie irgendwann durch die hohlen Schädel schwammen. Mit den Augen begannen sie, den Augen und den Lippen.
    Diese wunderschönen silbrigen Augen, die das Mädchen gehabt hatte! Adrian holte tief Luft, beugte sich vor, so weit er konnte, griff ins Wasser und packte das Haar, das noch immer in anmutigen Bewegungen mit den Wellen trieb. Es fühlte sich kalt an, glitschig, und es fiel unter seinem Griff zu nichts zusammen.
    «Was …?», rief Adrian und zog. Es gab einen Ruck, ein rupfendes Geräusch. Dann hielt er ein tropfendes Büschel Algen in der Faust. Er schleuderte es auf die Felsen. Es klatschte.
    «Himmelherrgott», schrie Adrian. Das Schreien tat ihm gut. «Himmelherrgott, verfluchte Scheiße.» Langsam ließ die Aufregung nach. «Geronimooooooooo!»
    In der Grotte kicherte es wieder. Aber diesmal achtete Adrian nicht darauf. Wind, Wasser, was sollte es. Er hatte Wichtigeres zu tun. Er musste nach Hause.

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8. Kapitel
    Aura tauchte auf und schwamm mit langen Zügen ans Ufer, wo Ondra an einen Felsen gelehnt saß. In der Linken hielt sie Adrians Handy, das sie im Sturz aufgefangen hatte. Die Rechte streckte sie nach oben und stieß einen kehligen Schrei aus. Eine Möwe antwortete, flog engere Kreise über ihr und landete schließlich auf ihrer Hand. Ondra kraulte ihr mit einem freien Finger das weiße Gefieder.
    Aura ließ sich auf einem Stein in der Nähe nieder und wrang sich das Wasser aus den roten Haaren. «Warum hast du das gemacht?», fragte sie und legte den Kopf fast so schräg wie die Möwe, die nun auf die gehauchten Einflüsterungen der Meerjungfrau lauschte, die sie noch einmal abschließend liebkoste und dann mit einer weit ausholenden Bewegung zurück in den Himmel schleuderte.
    Ondra wandte ihre Aufmerksamkeit dem Handy zu. Komische kleine Dinger; sie hatte sie schon oft bei den Menschen gesehen. Sie machten Musik, aber nie lange. Trotzdem hielten die Menschen sie sich ständig ans Ohr. Ondra versuchte es, hörte aber nichts. Ziellos drückte sie auf die Tasten. Zeichen tauchten auf dem Ding auf und flirrten vorbei. «Ich wollte ihn aus der Nähe sehen», antwortete sie.
    «Du bist verrückt», gab Aura zurück. «Wenn er nun etwas gemerkt hätte?»
    Statt einer Antwort zog Ondra nur die Nase kraus. Das da schienen Namen zu sein, ganz sicher war sie nicht, sie konnte zwar aneinandergereihte Buchstaben erkennen, aber lesen war doch etwas anderes. Und was half es, wenn man nicht wusste, was man las. Not-ruf, Aus-kunft, Cal-ler List – ob man sich so nennen konnte? Vermutlich nicht. Sie biss sich auf die Lippe und drückte weiter. Jetzt piepte es. Vor Schreck hätte sie das Ding beinahe fallen lassen.
    Aura lachte.
    Beleidigt schaute Ondra auf. «Er ist nicht wie die anderen», sagte sie.
    «Oh, ja, klar. Mann, hast du eine Ahnung, wie viele Nixen diesen Satz schon gesagt haben? Und glaub mir, jede einzelne lag falsch damit.» Sie lachte wieder, dann wurde sie ernst. «Aber du liegst am allerfalschesten. Ondra, der Typ ist Thunfisch, oder jedenfalls wenig besser. Er ist ein Mensch, verstehst du? Lies es von meinen Lippen: ein Mensch. Du würdest dich doch auch nicht in eine Pfahlmuschel verlieben. Und er kann nicht mal schwimmen! Hast du das nicht gesehen?»
    «Er ist nicht so dumm, das Fremde abzulehnen. Er ist neugierig, offen, hat Phantasie. Er denkt nach, Aura.» Ondras Augen leuchteten. Zumal sie es geschafft hatte, auf dem kleinen Display ein Bild Adrians erscheinen zu lassen. Gerührt betrachtete sie ihn.
    «Und das alles hast du in der kurzen Zeit aus seinem Verstand gefischt, ja? Siehst du, was ich meine? Sie sind so begrenzt.» Aura schnaubte abfällig. Aber sie kam heran und schaute ihrer Freundin über die Schultern.
    Ondra versuchte, das Foto vor ihr zu verbergen.
    «Ach was, gib schon her!» Resolut griff Aura nach dem Handy. «Wenn er so toll ist, wie du sagst, brauchst du ihn ja nicht zu verstecken.»
    «Aura, du bist wirklich …» Verbissen hielt Ondra das kleine
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