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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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graut vor gar nichts.» Als sie sein spöttisches Lächeln sah, setzte sie hinzu: «Sie war sicher eine große Herausforderung, Mr. Orka-Man. Und so was will ein Krieger sein.»
    Er griff sich einen Krebs, knackte ihn in der Faust und zog mit den Zähnen das frische Fleisch aus dem Panzer. «Wie gesagt», meinte er kauend. «Sie gehen so leicht kaputt.» Er beendete seine Mahlzeit und wurde ernster. «Du solltest dir ernsthaft Gedanken machen, ob es klug ist, deine Sympathien für sie so deutlich zu zeigen.» Er hob die Hand und zeigte ihnen etwas. Es war Adrians Handy.
    «Meins!» Ondra griff danach.
    Er entzog es ihr mühelos. «Es ist hin», stellte er fest. «Genau wie sie.» Mit einer leichten Bewegung schnippte er der Toten das Handy auf den Bauch. «Hoppla. Oder wolltest du es deiner Sammlung einverleiben?»
    Ondra wurde rot. «Das geht dich gar nichts an.»
    «Ich möchte dir einen guten Rat geben», begann er.
    «Ich will deinen Rat nicht», unterbrach Ondra ihn.
    Er packte für einen Moment ihre Hände. Sofort riss sie sich los.
    «Ich will dir einen guten Rat geben», wiederholte er. «Wenn du ihn haben willst, dann nimm ihn dir, und dann pack ihn meinetwegen in deine Höhle und vergrab ihn neben all dem anderen kaputten Kram. Vergrab ihn tief.» Es klang drohend. In seinen Augen aber lag noch etwas anderes.
    Gerade das aber machte Ondra noch wütender. «Tolle Idee. Machen wir es doch alle wie du. Schwimmen wir herum, schlagen wir uns auf die Brust, stoßen wir düstere Drohungen aus und tun von Zeit zu Zeit jemandem so richtig weh. Damit keiner auf die Idee kommt, dass wir etwas zu verbergen haben. Und dass wir in Wahrheit von Grund auf feige sind.» Sie starrte ihn an.
    Nox zeigte keine Regung. Aber Ondra spürte, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Ihr Lächeln glomm böse auf.
    «Pass einfach auf, was du tust», sagte er und wandte sich ab. Ein Schwanzschlag, und er war fort.
    Aura drehte sich eine Locke um den Finger. «Du hast vielleicht ein Talent», stellte sie fest. Sie seufzte und gab der Toten einen kraftvollen Stoß, der sie endgültig in die ablandige Strömung brachte. «Du weißt doch, wie sehr dein Vater ihn schätzt.»
    «Oh ja», bestätigte Ondra. «Ihn. Und dich.» Sie machte eine Pause, die Aura Zeit gab zu erröten. «All seine wertvollen Mitarbeiter. Nur mich schätzt er nicht. Ach, lasst mich doch einfach in Ruhe.»
    Trotzig drehte sie ab.
    Aura schaute ihr nach. Sie blieb, um das Verschwinden der Toten zu überwachen. «Es gibt keine Ruhe», sagte sie zu sich selbst, während sie dem davondümpelnden Körper nachschaute, über dem die ersten Möwen kreisten. Sie würde die Vögel verjagen müssen. Sonst fiele es zu sehr auf. Träge kraulend machte Aura sich auf den Weg. Immer gab es eine Aufgabe. Nein, es gibt keinen Frieden, dachte sie. Keine Wahl. Es gab nur sie, die Meermenschen. Und es gab die anderen.

[zur Inhaltsübersicht]
9. Kapitel
    «Hallo, Tante Rose.» Mit einem matten Heben der Hand erwiderte Adrian den Gruß seiner Tante. Sie stand mit Gummistiefeln und Kopftuch inmitten ihres kleinen Rosengartens. Auf eine Hacke gestützt, betrachtete sie ihn. Der Garten war ein Prachtstück, voller Duft und Farben. Er war der Anziehungspunkt auf den Fotos, die Adrian schon vor Jahren für die Website ihrer Pension gemacht hatte. «Rose’s Cottage», so hieß der Betrieb, in Anspielung auf seine Besitzerin und auf ihre Blumen, die sie hütete wie Kinder, züchtete, pflegte und auf ihren Bildern festhielt. Der Garten würde bleiben, auch wenn die Gästezimmer leer geräumt waren und die Touristen wegblieben.
    Rose hob eine behandschuhte Hand, um seinen Gruß zu erwidern. Mit schräggeneigtem Kopf betrachtete sie ihren Neffen, der sich schwer atmend auf eine blaugestrichene Bank setzte. Er ließ sich gegen die Lehne fallen, zuckte dann aber zurück und betastete vorsichtig seinen Rücken. «Alles in Ordnung?», fragte sie.
    Adrian grinste. «Alles klar.» Er winkte ab. «Gibt’s was für mich zu tun?»
    Die Frage war rein rhetorisch. Es gab Arbeit in Hülle und Fülle, das wusste er. Der Gästetrakt musste ausgeräumt, die Möbel fortgeschafft, die Räume entkernt werden. Rose hatte darauf bestanden, aus den ehemals kleinen Zimmern ein großes, luftiges Atelier mit Meerblick und eine kleine Einliegerwohnung zu schaffen. Dort sollte er wohnen können, wenn er sie besuchen käme. Adrian war von der Idee begeistert. Allerdings bedrückte ihn die Idee, dass so viel Wohnraum die
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