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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen
Autoren: Patricia Schröder
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und wieder einmal schaffte ich es nicht,
seine Gedanken zu ergründen.
    Nach einer Weile wies er auf die Sprotten vor meinen Füßen.
    »Wie lange willst du noch warten? Bis du verhungert bist?«
    Meine empörte Geste beeindruckte ihn nicht.
    »Ich bin nicht deine Großtante«, sagte er. »Ich besitze weder
einen Herd noch eine Pfanne. Außerdem sind diese Tiere gern
für dich gestorben.«
    Ungläubig sah ich ihn an.
    »Nixe lieben die Jagd«, erklärte er mir. »Aber sie jagen nur
dann, wenn sie Hunger haben, und ausschließlich das, was
sich ihnen freiwillig anbietet. Also sei den Fischen dankbar
und bemühe dich wenigstens darum, sie mit Genuss zu verzehren
… Sie haben es verdient.«
    Ich schluckte. Die Art und Weise, wie Gordian das Leben
achtete, imponierte mir immer mehr. Es gab so vieles, was für
ihn selbstverständlich war, über das ich mir noch nie Gedanken
gemacht hatte.
    »Heißt das, ihr redet mit den Fischen, bevor ihr sie fangt?«,
fragte ich vorsichtig.
    »So ähnlich.« Gordy zuckte mit den Schultern. »Du wirst
schon noch dahinterkommen.«
    Ich ließ meinen Blick über das dunkle Meer gleiten, hörte
das Rauschen der Wellen, die auf den Strand rollten und sich
rechts und links von uns an den Klippen brachen.
    »Was bleibt mir denn auch anderes übrig?«, erwiderte ich
ein wenig sarkastisch. »Ich nehme an, bis zu den Kapverdischen
Inseln gibt es weit und breit nichts anderes als rohen,
lebendigen Fisch.«
    »Stimmt«, sagte Gordy und lachte leise.
    »Warum bist du
trotzdem
nach Lübeck gekommen?«, fragte
ich, nachdem ich eine der Sprotten aufgehoben und eine
Weile unschlüssig betrachtet hatte.
    Gordians rechter Arm rutschte von seinem Knie herunter,
und er begann, mit dem Finger Kringel in den Sand zu zeichnen.
    »Weil ich dich sehen wollte. Ich musste sicher sein, dass du
unverletzt bist … und dass du dein Leben ohne mich…« Er
brach ab und barg das Gesicht in seinen Händen.
    »Ich hätte es geschafft«, wisperte ich. »Irgendwie … Ich hätte
mich damit getröstet, dass das Meer eine größere Aufgabe für
dich bereithält.«
    »Für einen Plonx?«
    Er sah mich kurz an und wandte sich kopfschüttelnd wieder
ab.
    »Hör auf damit«, sagte ich nachdrücklich. »Hör
endlich
auf,
dich so klein zu machen! Du bist wundervoll, Gordy. Nicht
nur für mich. Jane glaubt auch, dass du so etwas wie eine Ausnahme bist. Es sind ausschließlich eure Legenden, die davon
sprechen, dass ein Plonx ein Ausgestoßener ist …«
    »Aber das bin ich doch auch!« Gordys Pupillen zogen sich zu
schmalen Ellipsen zusammen. »Niemand will mehr etwas mit
mir zu tun haben. Meine ehemaligen Freunde sind zu meinen
Feinden geworden. Sie jagen mich …«
    »Nicht Idis«, wandte ich sofort ein. »Und auch deine Eltern
stehen noch immer zu dir. Vielleicht ist in Wahrheit alles ganz
anders. Vielleicht bist du …«
    »Was?«
    »Ich weiß es doch auch nicht.« Mutlos ließ ich die Schultern
sinken. »Es ist nur so eine Ahnung. Etwas, das ich nicht greifen
kann. Wie soll ich es dir da erklären?«
    Gordian musterte mich stirnrunzelnd.
    »Vielleicht ist es ja auch bloß dein Wunsch«, sagt er leise.
    Nein, Gordy, es ist mehr als das. Und ich hoffe so sehr, dass wir
das herausfinden. Möglicherweise wissen deine Eltern mehr, als sie
bisher preisgegeben haben. Oder sie kennen jemanden, der mit diesen
Legenden vertraut ist.
    Gordian schwieg.
    »Erinnerst du dich noch, was ich mal über Zak gesagt habe?«,
fragte er schließlich.
    »Hm?« Ich hob die Schultern. »Dass er Kyan nicht als Anführer
anerkennt?«
    »Ja, und was noch?«
    Angestrengt kramte ich in meinem Gedächtnis. »Dass er
Kontakt zu anderen Allianzen sucht?«
    Gordy sah mich an. Seine Augen schimmerten verführerisch,
und ich begann, mich im so vertrauten Türkisgrün zu
verlieren.
    »Jetzt überwinde dich endlich«, knurrte er ungeduldig und
deutete auf die Sprotte in meiner Hand. »Durch das lange
Herumliegen
werden sie auch nicht besser.«
    Leise seufzend führte ich den Fisch an meine Lippen und
löste vorsichtig ein Stück von der zarten Außenhaut ab. Sie
schmeckte gar nicht mal so schlecht, und Gordian starrte mir
auf den Mund, als würde er die Sprotte um ihr Schicksal beneiden.
    Mein Herz polterte los. Ich war drauf und dran, den Fisch
fallen zu lassen und Gordy in meine Arme zu ziehen, doch ehe
ich mich überhaupt rühren konnte, hatte er sich schon wieder
abgewandt.
    »Wie Kyan ist auch Zak in der Lage, Land zu betreten und
andere Nixe mitzunehmen«,
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