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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen
Autoren: Patricia Schröder
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Externen nehmen es mit dem Frühsport
nicht so genau. Melanie musste noch nie Strafrunden laufen.
Dafür sorgt ihr Vater schon.
    Noch fünfzehn Runden.
    Ich habe kein Problem damit, vor dem Frühstück zu trainieren.
Meistens bin ich sowieso schon wach und die Waldläufe
machen mir Spaß. Im Wald ist es anders als auf der Bahn. Vor
allem im Winter. Die Stämme der grauen Bäume glitzern jetzt
silbern in der Dunkelheit. Der Frost der letzten Nacht hat alles
mit einer schützenden Haut überzogen. Ich stelle mir vor, einer
von ihnen zu sein. Stark und unbeweglich …
    Auch heute war ich früh wach, stand wie vereinbart pünktlich
am Bushäuschen und habe gewartet. Wer nicht kam, war Mel.
Bis mir endlich klar wurde, dass sie mich einfach versetzt hat,
war Drexler mit den anderen längst weg. Ich hab noch versucht,
Mel auf dem Handy zu erreichen. Ohne Erfolg. Schließlich hab
ich nichts mehr gemacht. Nur gewartet. Als Drexler mit der
Gruppe aus dem Wald zurückkam und mich mit Kopfhörern im
Ohr an der Bushaltestelle sitzen sah, ist er explodiert. Hat total
die Kontrolle verloren und rumgeschrien. Die anderen standen
dabei und grinsten. Dann hat mich Drexler auf die Bahn geschickt.
    Noch vierzehn Runden.
    Der Schweiß läuft mir übers Gesicht, meine Kopfhaut juckt
unter der Wollmütze. Ich wische mir mit dem Ärmel über die
Augen. Mit jedem Atemzug strömt eisige Luft in meine Lungen.
    Noch dreizehn Runden.
    Das Erste, was ich sehe, ist ein blaues Leuchten. Der Schnee
unter meinen Füßen flackert rhythmisch auf.
    Blau – weiß – blau – weiß.
    Ich passe mein Lauftempo dem Farbwechsel an.
    Links – rechts – links – rechts.
    Dann sehe ich den Krankenwagen. Er steht auf dem Schulhof
und sein Blaulicht spiegelt sich in den Fenstern. Neben dem
Krankenwagen hält ein weiteres Auto. Ich werde langsamer.
    Noch zwölf Runden.
    Zwei Männer steigen aus dem Auto. Erste Gesichter tauchen
hinter den Scheiben der Mensa auf. Kurz darauf verschwinden
sie wieder und die Jalousien werden zugezogen. Die Männer
laufen zum Hallenbad. Die Sanitäter holen eine Trage aus dem
Krankenwagen.
    Noch elf Runden.
    Drexler sprintet aus der Mensa. Ich fange an zu gehen. Bernges
erscheint jetzt auch auf dem Schulhof, will ebenfalls zum
Hallenbad. Ich bleibe stehen. Was hat er dort zu suchen?
    Ich warte darauf, dass mein Atem sich beruhigt.
    Immer noch elf Runden.
    Im Hallenbad wird es hell. Jemand hat Licht gemacht. Die
Putzfrau. So früh am Morgen kann höchstens die Putzfrau in
der Halle sein. Vielleicht ist sie ausgerutscht. Deshalb der Krankenwagen.
So muss es sein.
    Ich verlasse die Bahn und gehe langsam zum Schulhof hinüber.
Niemand sagt etwas dagegen. Keiner hält mich auf und
schickt mich zurück. Hinter den Jalousien ist es still. Eine Putzfrau
ist uninteressant.
    Ich könnte jetzt auch frühstücken gehen. Drexler hat mich
längst vergessen. Ich sollte beruhigt sein, dass es nur um eine
Putzfrau geht, die zu unvorsichtig war und auf dem nassen Hallenfußboden
ausgerutscht ist. Aber was wollen Drexler und
Bernges in der Halle? Und was sind das für Männer? Der eine
könnte ein Notarzt sein? Und der andere?
    Ich wiederhole mein Mantra: nur eine Putzfrau, nur eine
Putzfrau. Gleich werden die Sanitäter mit der Trage herauskommen,
die Putzfrau in den Krankenwagen schieben und ich kann
endlich frühstücken.
    Mein Kopf sagt mir, ich soll jetzt rübergehen und die Reste
vom Rührei essen, solange es noch warm ist. Meine Beine bleiben
einfach stehen. Die Sanitäter kommen mit der Trage aus
dem Hallenbad, schieben sie mit kräftigen Stößen über den
Schnee. Warum atmet mein Brustkorb nicht erleichtert aus? Ich
halte die Luft an.
    Die Trage ist leer. Unbenutzt. Die Männer schieben sie zurück
in den Krankenwagen.
    Blau – weiß – blau – weiß – blau – weiß.
    »Macht endlich das Scheißlicht aus, verdammt!«
    Ein Schrei zerreißt die Stille des frühen Wintermorgens. Ich
zucke zusammen. Die Sanitäter fahren herum und starren mich
an. Erst jetzt wird mir klar, dass ich es war, die geschrien hat.
    Einer der beiden geht auf mich zu und packt mich am Arm.
    »Fass mich nicht an, Mann!«
    »Du gehst jetzt besser ins Haus.«
    »Ich hab gesagt, du sollst mich nicht anfassen!« Ich reiße
mich los.
    Aus der Halle kommt eine Frau. Sie wird von einem der anderen
Männer geführt. Die Putzfrau. Also doch ein Unfall. Zum
Glück scheint ihr nicht viel passiert zu sein. Sie setzen sie in das
Auto und bringen ihr eine Decke. Wo bleiben
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