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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau
Autoren: Britta Strauß
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zu hören „Was soll ich ihm sagen?“
    „Ich … ähm …“ Ein paar Mal tief durchatmen half, ihren Herzschlag zu verlangsamen. „Also gut, schicken Sie ihn hoch.“
    In heller Aufregung begann sie, die Papierstapel zu durchforsten. Verflixt, irgendwo mussten die Unterlagen doch sein. Sie arbeitete sich in fieberhafter Geschwindigkeit von rechts nach links vor, bis der dritte Stapel endlich das Ersehnte brachte. Lebenslauf und Leistungen von Dr. Christopher Jacobsen. Jahrgangsbester im Studium der Meeresbiologie und der maritimen Geochemie an der angesehenen St. Andrews Universität, gerade mal zweiunddreißig Jahre jung, magna cum laude Promotion, Fachmann auf dem Gebiet der Tiefseeforschung sowie gefragter Dozent und Gastredner, dessen Vorlesungen aufgrund ihrer Unterhaltsamkeit enorm beliebt waren. Warum in aller Welt ließ sich ein solcher Mann dazu herab, hier am Arsch der Welt in einem kleinen, unbedeutenden Institut anzuklopfen?
    Um ihre strapazierten Nerven zu beruhigen, ging sie zum Aquarium, gab zwei Futtertabletten ins Becken und beobachtete, wie Scully und Mulder sich darüber hermachten. Die beiden Marmorkrebse ließen den Guppys keine Chance. Binnen zweier Sekunden befanden sich beide Tabletten zwischen ihren Scheren und wurden eilends zum Stammplatz verschleppt – eine halbe Kokosnussschale im hintersten Winkel des Aquariums.
    Nur noch zwei Monate, bevor die Reise losgehen würde, und sie kroch bereits jetzt auf dem Zahnfleisch. Das klang nach viel Zeit, es sei denn, man war Expeditionsleiterin und verantwortlich, dass alles rund lief. Dass nun auch noch überraschend eine Koryphäe der Wissenschaft hier aufschlug, während ihr Büro einem atomaren Testgelände glich, setzte ihrer Lage die Krone auf. Irgendwie musste sie diese Herausforderung meistern.
    Kaum war sie wieder in den Sessel gesunken, klopfte es schon an der Tür. Mayas Herz fiel wie ein Stein in Richtung Magen.
    „Bitte kommen Sie herein.“
    „Entschuldigen Sie, dass ich in Ihr Institut platze wie ein plumper Neandertaler“, erklang eine überaus angenehme Stimme. „Aber da ich in der Stadt zu tun hatte, wollte ich mein Glück einfach mal versuchen.“
    Sie hatte Fotos gesehen, kleine Abbildungen in Schwarz-weiß. Sie hatte überschwängliche Lobreden diverser Studenten und Wissenschaftskollegen gelesen, doch der Mann aus Fleisch und Blut war noch beeindruckender. Sie registrierte, dass ihr Mund offen stand und ihre Zunge zu vertrocknen drohte wie eine Qualle in der Sonne. Schnell schloss sie ihn, griff Halt suchend nach der Pauamuschel, die sie an einem Lederband um den Hals trug, und fummelte daran herum.
    „Kein Problem.“ Maya stand auf und reichte ihm die Hand. Eine Schockwelle durchfuhr ihren Körper. Sein Griff war weder sanft noch fest, angesiedelt in der perfekten Mitte zwischen Freundlichkeit und Bestimmtheit. Doch das Gefühl, das sie durchzuckte, war mit Worten kaum zu beschreiben. Sie spürte Wärme und eine Form von … Macht. Wie hätte man es sonst umschreiben sollen? Es war etwas Fühlbares, das angenehm durch jede Zelle ihres Körpers sickerte und am Ende, als er ihre Hand wieder freigab, eine Art Leere hinterließ. Als hätte er ihr durch seine Berührung etwas genommen. Verrückt.
    „Nehmen Sie doch Platz.“ Ihre Stimme klang heiser. Für einen Augenblick noch benommen starrte sie auf ihre Hand und setzte sich. „Bitte verzeihen Sie das Chaos, aber vor einer Expedition sieht es bei mir immer so aus.“
    Der Mann ließ sich nieder und lächelte beschwichtigend. In seinen blauschwarzen Locken glitzerte geschmolzener Schnee. Ebenso auf seinem braunen Wollpullover, der schwarzen Jeans und dem schwarzen Schal. Vor drei Wochen hatten Archäologen eine Statue aus der Ägäis gezogen, von der man annahm, sie stelle einen Meeresgott dar. Sie konnte sich nicht erinnern, wie genau der Name dieses Gottes war, doch die Statue hatte ein ganz ähnliches Antlitz wie der Mann, der nun auf ihrem Gästestuhl saß. Klassisch, vornehm und zeitlos.
    „Also … ähm …“ Ihr rhetorisches Geschick versagte auf ganzer Linie. „Verraten Sie mir zuerst eines. Warum sind Sie hier? Ich meine, natürlich freut mich Ihr Interesse außerordentlich, aber das hier ist wohl kaum das, was Sie gewöhnt sind. Immerhin sind Sie ein Stern am Himmel der ältesten und besten Universität Schottlands.“
    Dr. Jacobsen verschränkte die Arme vor der Brust und blickte mit dieser Art von natürlicher Arroganz auf sie herab, die verriet, dass er
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