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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau
Autoren: Britta Strauß
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es noch vor dem Jahr zweitausendfünfzig kein Leben mehr in den Meeren. Die Ozeane sterben, und wir mit ihnen. Mit diesem Schlusssatz beende ich meine Vorlesung.“
    Beifall und Jubelrufe erhoben sich. Christopher stand auf, warf einen Blick auf die Uhr und bereitete sich auf das vor, was er seinen Studenten zu sagen hatte.
    „Einen Moment noch. Bevor Sie gehen, muss ich noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Dies hier war meine letzte Vorlesung an dieser Universität. Es tut mir leid.“
    Neunundzwanzig Gesichter entgleisten. Für ein paar Momente herrschte bleierne Stille, dann brandete der Lärm über Christopher hinweg.
    „Sie gehen? Aber warum? Kommen Sie zurück? Wohin gehen Sie? Wirklich schon morgen? “
    Er hob beschwichtigend die Arme und ließ sie wieder fallen. Ansatzweise kehrte Ruhe ein. „Eine familiäre Angelegenheit zwingt mich dazu“, sagte er. „Es tut mir leid, aber es ist mir unmöglich, noch länger hier zu verweilen. Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit und Treue und wünsche euch für die Zukunft alles erdenklich Gute. Vielleicht sieht man sich auf einer Expedition. Ich würde mich freuen.“
    Er klemmte die Tasche unter den Arm, nahm sein Jackett und verließ den Raum, begleitet von den Schwüren mehrerer Studenten, ohne ihn würden sie ihr Studium an dieser Universität hinschmeißen. Ein paar Mädchen brachen in Tränen aus. Er hatte sich den Abschied schwer vorgestellt, doch jetzt musste er einsehen, dass die Wirklichkeit seine Befürchtungen noch übertraf. Kurz und schmerzlos hätte es sein sollen, doch gelungen war ihm nur ersteres.
    Er dachte nicht weiter darüber nach.
    Seine Schwester brauchte ihn. Nichts anderes zählte.
Isle of Skye, Meeresbiologisches Institut, vier Wochen später
    S chneegraue Abenddämmerung legte sich über die Insel. Den ganzen Tag war Maya das Gefühl nicht losgeworden, heute etwas Sonderbares zu erleben. Doch inzwischen, da der Feierabend nahte und nichts Weltbewegendes geschehen war, ging diese Ahnung in Enttäuschung über. Es war ein Tag wie jeder andere. Angefüllt mit Tabellen, Diagrammen, einem sechzigseitigen Expeditionsplan und Fingern, die sich anfühlten, als versteinerten sie.
    Sie sank in den Sessel zurück und rieb sich die brennenden Augen. Ein kurzer Blick brachte die Gewissheit, dass eine Aufräumaktion ihres Büros dringend vonnöten war. Wie das Büro einer Institutsleiterin sah dieses Chaos wahrhaft nicht aus. Überall stapelten sich Unterlagen, Bücher und Studien. Ihr Schreibtisch war unter all dem Krempel kaum mehr zu erkennen, und selbst die Guppys litten an einer akuten Verwucherung ihres Aquariums.
    Außerdem war sie todmüde. Die Reise ans andere Ende der Welt rückte mit beängstigender Geschwindigkeit näher. Tausend Dinge mussten noch koordiniert werden. Über Nebensächlichkeiten wie Aufräumen oder Schlafen durfte sie erst nachdenken, wenn dieser verdammte Expeditionsplan fertig war.
    Eine neue E-Mail kündigte sich an. Verschickt von einem Freund aus ihrer Studienzeit, der momentan irgendwo vor Hawaiiauf einem Schiff unterwegs war. Offenbar hatte er ihr eine Datei mit selbst aufgenommenen Walgesängen geschickt. Maya wollte sie öffnen, als ihr Telefon klingelte. Die Zentrale. Das konnte nur etwas Lästiges bedeuten.
    „Ja?“, nuschelte sie lustlos in den Hörer.
    „Miss Mawatha?“ Eine der im Institut aushelfenden Meeresbiologie-Studentinnen war am anderen Ende. „Haben Sie kurz Zeit?“
    „Ich habe nie wirklich Zeit.“ Maya beäugte den Stapel Expeditionsplan-Entwürfe und stellte sich vor, ihn rituell zu verbrennen. „Aber schießen Sie los.“
    „Ich habe hier jemanden, der bezüglich der Südamerika-Expedition mit Ihnen sprechen will.“
    „Ist es ein Student? Alle Plätze für Seegurken-Umstülper und Knurrhahn-Zähler sind besetzt.“
    „Nein, kein Student. Es ist Dr. Christopher Jacobsen. Er sagt, er hätte erst nächste Woche mit Ihnen einen Termin, lässt jedoch anfragen, ob Sie bereits heute für ihn Zeit hätten.“
    Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen. Dr. Jacobsen? Hier und heute? Um Himmels willen! Hektisch rieb sie sich mit Zeigeund Mittelfingern die Schläfen. Nebenbei fiel ihr auf, dass Kaffeeflecken auf ihrem weißen Hemd prangten. Genau wie auf der Jeans. Keine guten Voraussetzungen für ein Gespräch mit einem der gefragtesten und jüngsten Dozenten Großbritanniens, über dessen Aufsätze sie in den letzten Wochen hingerissen gebrütet hatte.
    „Miss Mawatha?“ Ein Räuspern war
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