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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau
Autoren: Britta Strauß
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vom letzten Sturm beschädigt worden waren und deshalb festgezurrt im Hafen lagen. Früher hatte es hier vier Anlegestellen gegeben. Übrig geblieben waren nur zwei. Die Fischerei im kleinen Rahmen lohnte sich kaum mehr. Zu leer war das Meer geworden, seit am Horizont die schwimmenden Fabriken vorbeizogen.
    Als der Schaum seine nackten Füße umspülte, legte er den Kopf in den Nacken und lauschte auf das Sehnen in seinem Inneren. Was zuvor nur ein Flüstern war, subtil und sanft, wuchs seit einigen Wochen zu einem verzehrenden Hunger heran. Einem Hunger nach etwas, das unmöglich war.
    In St. Andrews war es ihm gelungen, diese befremdliche Seite aus seinem Leben auszuklammern, wenn auch zeitweise mehr schlecht als recht. Seine Tage und Nächte waren angefüllt mit Vorlesungen, Studien, Reisen und Studentenfeiern, zu denen er sich nur hatte breitschlagen lassen, um bei dröhnender Musik und zwischen gut gelaunten Menschen abschalten zu können. Jetzt aber brachen die Veränderungen mit aller Macht hervor. Es war die Nähe des Meeres. Die Ruhe, die ihm plötzlich gegönnt war. Es war der Geruch in der Luft, das Salz auf seiner Haut und der Schmerz über den Verlust. Die Visionen der vergangenen Tage waren erschreckend klar gewesen, und der Hunger nach dem Unbekannten so stark, dass er sich inzwischen völlig ausgezehrt fühlte.
    Sonnenlicht fiel durch eine Lücke in den schiefergrauen Wolken und überflutete das Meer. Goldene Facetten aus Licht spielten auf den Wellen, tanzten in der Gischt und glänzten auf den Kieseln des Strandes. Die salzige Nässe auf der Haut tat gut. Seevögel weckten sein Fernweh, und er stellte sich vor, mit ihnen hinaus aufs Meer zu fliegen, um zu sehen, was hinter dem Horizont lag. Schwarz-weiße Austernfischer trippelten am Strand entlang, drehten Muscheln herum und suchten inTangbüscheln nach Nahrung. Zwei Krabben huschten an seinen Füßen vorbei. Schnell verschwanden sie unter einem der ausrangierten Boote, die an Pfählen festgezurrt vor sich hinmoderten.
    Er liebte diese Insel von ganzem Herzen, aber wenn er den Blick auf den Horizont richtete und darüber nachdachte, was unter dem Spiegel des Ozeans lag, kehrte die Unruhe zurück. Das Bedürfnis zu reisen. Immer weiter und weiter, auf der Suche nach etwas, dessen Natur er nicht kannte.
    Der Sturm wurde stärker, doch Christopher lief weiter, bis sein Weg vor den hohen Klippen endete. Bleich wie Knochen und geformt von den Gezeiten der Jahrtausende ragten sie in den Himmel. Vor ein paar Tagen hatte man im Kalkstein das Skelett eines Fischsauriers gefunden. Demnach hatte es hier schon immer das Meer gegeben. Ein schöner Gedanke, der das menschliche Zeitempfinden relativierte.
    Eine Muschel fiel ihm ins Auge. Er hob sie auf und dachte, während er ihre vollkommene Symmetrie bewunderte, an die Frau aus dem Institut. Ihre Augen waren wunderschön. Groß, glänzend und pechschwarz. Es hatte in seinem Leben bisher nicht viele Menschen gegeben, von denen er fasziniert war. Doch Maya gehörte zweifellos dazu. Ihr Bild geisterte unaufhörlich in seinem Kopf herum. Unordentliches, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenes Haar, das im offenen Zustand vermutlich kurz über ihre Schultern reichte und so schwarz war wie ihre Augen. Ein schmales, androgynes Gesicht. Sehnige Glieder wie die einer Katze und Haut wie helle Bronze. Der Gedanke, drei Monate mit dieser Frau auf einem Schiff zu verbringen, gefiel ihm.
    Eine Zeit lang sah er den Wellen zu, gab sich der Vorstellung hin, sich die Kleider vom Leib zu reißen und ins Wasser zu rennen. Er stellte sich vor, zu schwimmen, bis das Land nur noch eine Ahnung war und unter ihm die Tiefe gähnte. Doch auch diesmal kehrte er dem Meer den Rücken. Wie immer verbunden mit dem Gefühl, die falsche Entscheidung zu treffen.
    Vom Regen durchnässtes Gras schmatzte unter seinen Füßen. Schutzbedürftig kauerten sich die Häuser zwischen die windumtosten Hügel, umarmt von Bergen im Osten und dem Meer im Westen. Strandhafer wiegte sich dort im Wind, wo anderswo Rosen blühten oder Clematis rankten. Es gab nur einen winzigen Laden, der zugleich als Friseur und Treffpunkt der Gemeinde diente.
    Der Rhythmus des Lebens besaß hier einen ruhigen Takt und wurde kaum berührt von dem, was sich im Rest der Welt abspielte. Auf überdachten Holzgestellen hing Stockfisch und trocknete im Wind. Duftender Qualm stieg aus den beiden Räuchereien auf und wand sich dem Himmel entgegen. Gestört wurde die Ruhe nur vom
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