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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel
Autoren: C Walden
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angesichts dessen zieren können – zumal sie fest entschlossen war, das Handelshaus weiterzuführen. Und dem musste sich alles andere unterordnen. So soll geschehen, was zu geschehen hat, dachte sie. Der Herr hat mich bisher beschützt, warum sollte er es nicht auch in Zukunft tun?
    Maria ließ das graue Büßergewand hinabgleiten, und mehr als das trug sie ohnehin nicht mehr am Leib. Im Grunde genommen hatte sie so ein aufrichtiges Zeichen der Buße zum Herrn senden wollen, wie Pater Matteo es ihr geraten hatte. Unter all den Mitteln, deren tatsächliche Wirkung gegen die Pest höchst zweifelhaft waren, erschien es ihr noch am vielversprechendsten, sich auf diese Weise direkt an die höchste Macht selbst zu richten.
    Eine Gänsehaut überzog ihren gesamten Körper, als der Arzt an sie herantrat und sie zu untersuchen begann. Maria fühlte tiefe Scham, derart den Blicken dieses Fremden ausgesetzt zu sein. Er kam ihr nahe genug, um die Farbe seiner Augen erkennen zu können: Sie waren eisgrau, und der Blick wirkte so kalt, dass ihr Schauder über den Rücken jagten. Ein Blick, der alles zu durchdringen schien und vor dem man nichts verbergen konnte. Ein Blick aber auch, dem alles Menschliche zu fehlen schien. Maria schob diesen Umstand auf die optische Wirkung der Schnabelmaske. In ihrem tiefsten Inneren ahnte sie freilich, dass es damit nichts zu tun hatte. Selbst wenn er ihren Körper mit Lüsternheit und Begierde gemustert hätte, wie sie zunächst befürchtet hatte, dann wäre darin zumindest eine Spur von Menschlichkeit zu finden gewesen. Die Art und Weise jedoch, wie diese grauen Augen sie betrachteten, war dermaßen unangenehm, dass sie keine Worte gefunden hätte, um es zu beschreiben. Die Tücher, mit denen seine Arme umwickelt waren, strömten den Duft ätherischer Öle aus, in die sie offenbar getränkt worden waren. Ein Geruch, der so stark war, dass Maria kaum noch atmen konnte und dass das Wasser aus Augen und Nase zu laufen begann. Cagliaris behandschuhte Hände tasteten unter ihre Achseln und an den Leistenbeugen. Er ging dabei ziemlich grob vor, sodass Maria beinahe schreiend zurückgewichen wäre. Doch sie beherrschte sich. So ähnlich musste es sein, wenn die nackten Menschenseelen in der Hölle von den tierhaften Dämonen gequält würden. In Genua hatte sie Gemälde gesehen, die dies in aller drastischen Deutlichkeit darstellten. »Keine Schwellungen«, murmelte Cagliaris Stimme unter seiner Schnabelmaske, und der dumpfe, fast röchelnde Laut, der dann folgte, mochte in Wahrheit ein Aufatmen sein. »Stellt Euch mehr ins Licht!«, verlangte er dann. »Hierhin!« Er deutete mit dem Zeigefinger auf eine bestimmte Position. Maria trat ein paar Schritte zur Seite, der helle Schein des Kerzenlichts erfasste sie nun noch deutlicher. Cagliari hob ihr Gewand vom Boden auf, eilte damit zum Kamin und warf es in die Flammen. Knisternd begann es zu verbrennen. Dann kehrte der Arzt zurück. Aus einer Tasche an seinem Gürtel holte er ein Vergrößerungsglas hervor und machte sich daran, nun mit diesem Hilfsmittel ihren gesamten Körper eingehend zu betrachten. Fingerbreit für Fingerbreit ging er vor, und er musste dabei den Schnabel seiner Maske stets gesenkt halten, um eine der Augenöffnungen näher an das Glas halten zu können. »Habt Ihr Stiche oder Bisse kleinster Tiere an Euch bemerkt?«, erkundigte er sich. »Von Flöhen zum Beispiel?«
    »Nein, Meister Cagliari. Allerdings habe ich auch nicht sonderlich darauf geachtet, denn wie Ihr wisst, sind Flöhe überall, und man kann ihnen nicht entweichen.«
    »So wie der Pestilenz«, ergänzte der Arzt, während er mit seinem akribisch ausgeführten Handwerk fortfuhr. Dass die Pest oft gerade dann auftauchte, nachdem vermehrt Ratten auf den Straßen zu sehen gewesen waren, wusste Maria natürlich. Die Nager waren daher als Boten der Krankheit berüchtigt. Boten, die das Miasma im Schlamm urplötzlich entstehen, an die Oberfläche kriechen und einem unbändigen Drang zur unaufhörlichen Wanderung folgen ließen. Aber Flöhe? Als jene unsichtbaren Insekten, von denen gemunkelt wurde, dass sie die Krankheit möglicherweise verursachten, hatte sich Maria jedenfalls anderes Ungeziefer vorgestellt.
    »Ich habe keine Flohbisse bemerkt«, teilte sie ihm mit. »Allerdings gibt es so vieles winziges Getier, das sticht und zwickt.«
    »Doch nur Flöhe beißen mehrfach und in einer geraden Reihe«, erklärte der Arzt.
    »Verzeiht, wenn ich Euch noch einmal darauf
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