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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel
Autoren: C Walden
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eine Handelsreise nach Alexandria begleitet und dort die Tiere auf dem Markt gesehen – sowohl in ihrem furchteinflößenden lebendigen Zustand als auch zu kostbarstem Leder verarbeitet, für das man in Genua ein Vermögen zahlen musste. Bisweilen wurden diese Geschöpfe aber ebenfalls als Mumien feilgeboten. Wie auch die Mumien von Menschen, Katzen und Ibissen, die man in Ägypten vor langer Zeit mit inzwischen unbekannten Verfahren vor der Verwesung zu bewahren gewusst hatte, waren sie als Rohstoff für Heilmittel aller Art in ganz Europa beliebt, so als könne die geheimnisvolle Lebenskraft, die diesen Artefakten innewohnte, übertragen werden, indem man die Mumie zu einem Pulver zerrieb, das dann als Beimengung von Arzneien und Heiltinkturen diente. Das Haus di Lorenzo hatte sich über Jahre hinweg immer wieder am Handel mit Mumien beteiligt, wenngleich der Anteil der Familie am Handelsumsatz bei weitem nicht so bedeutend war wie der von Zucker, Seide und Seife, die man vornehmlich aus den levantinischen Küstenstädten bezog.
    Damals in Alexandria hatte Maria zum ersten und einzigen Mal auch eine vollständig erhaltene menschliche Mumie zu Gesicht bekommen, deren Anblick ihr noch jahrelang in Form von Alpträumen gegenwärtig gewesen war. Der Art und Weise, wie die Gestalt vor ihr auf dem Stuhl die Arme mit Binden umwickelt hatte, erinnerte Maria unwillkürlich an jenen Anblick. Unter diesen Binden, deren Sinn sich der jungen Frau in diesem Moment einfach nicht erschließen wollte, waren immer wieder freie Flächen zu sehen, die den Blick auf das eigentümliche Leder freigaben, aus dem der ganze Anzug bestand. Das Erstaunlichste daran waren für Maria die Handschuhe, die bemerkenswert fein gearbeitet waren. Das Material schien fast hauteng anzuliegen und musste sehr dünn sein, denn die Konturen der Fingerglieder stachen deutlich hervor.
    »Ihr seid Maria di Lorenzo?«, wisperte die Stimme unter der Schnabelmaske auf Venezianisch.
    »Ja, die bin ich. Und Ihr müsst der berühmte Pestarzt Fausto Cagliari sein, dem selbst der Kaiser vertraut!«
    »Ja, das ist wahr. Wo ist Euer Bruder?«
    »Er wartet draußen vor der Tür. Es hieß, wir sollten einzeln eintreten.«
    »Zieht Euch aus«, forderte Cagliaris wispernde Stimme. »Legt alle Kleidung, die Ihr am Leib tragt, ab! Ich muss Euren Körper nach den Zeichen der Krankheit untersuchen!«
    »Ich trage keine Pestbeulen! Dann wäre ich in Pera geblieben und hätte den stillen Tod erwartet, so wie er meine Eltern ereilte!«
    »Tut, was ich sage!«, forderte Cagliari. Seine Stimme war nur ein leises, krächzendes Flüstern und schien doch eine geradezu unheimliche Kraft in sich zu tragen. Eine Kraft, deren Einfluss man sich kaum entziehen konnte. »Es geht mir nicht nur um die Pestbeulen, deren Anfangsstadium Ihr vielleicht selbst gar nicht bemerken würdet. Es gibt noch weitere Zeichen. Und nun ziert Euch nicht länger oder sucht Euch jemand anderen, der Euch die Pestfreiheit bestätigen könnte! Jemanden, dem der Kaiser vertraut, was ja nicht ganz unwichtig ist. Schließlich sollt Ihr ja einige wesentliche Geschäfte mit dem Hof und der kaiserlichen Familie abmachen.«
    Der Gedanke daran, sich vor Fausto Cagliari zu entkleiden, war ihr äußerst unangenehm. In seiner eigenartigen, ihn vollständig bedeckenden Kluft wirkte er kaum noch wie ein Mann, sondern eher wie ein der Hölle entstiegener Tiermensch. Zugleich war ihr klar, dass sie keine andere Wahl hätte. Der Kaiser hatte seine Frau durch die Pest verloren, und seitdem verfolgte ihn eine geradezu panische Furcht vor dieser Krankheit. Zugang zum Kaiserhof ohne eine Bestätigung darüber, dass man frei von Zeichen des Übels war, galt als schier undenkbar. Aber Geschäfte in Konstantinopel zu machen ohne eine gute Verbindung zum Kaiserhaus war ebenfalls nicht vorstellbar. Das Urteil eines Arztes, dem der Kaiser vertraute, war für den Fortbestand des Handelshauses überlebenswichtig, das allein durch die Erkrankung und den Tod seines Herrn bis an den Rand seiner Existenzfähigkeit gebeutelt worden war. Es kam einer besonderen Gnade des Hofs gleich, dass dieser Arzt des kaiserlichen Vertrauens die Untersuchung durchführen sollte. Maria war das sehr wohl bewusst. Es war ein Akt des Vertrauens, der von Generationen der di Lorenzos verdient worden war – angefangen mit Niccolò Andrea, der geholfen hatte, die Franken und Lateiner zu vertreiben, bis hin zu ihrem Vater. Was war dagegen ihre Scham? Wie hätte sie sich
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