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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen
Autoren: Christa Wolf
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zu leisten hat. Ganze Heerscharen von Beamten beschäftigen sich mit diesen Berechnungen, Korinth ist stolz auf diese Fachleute, und Akamas, der oberste Astronom und erste Berater des Königs, dem ich einmal mein Erstaunen über die Vielzahl dieser unnützen, aber arroganten Schreiber und Rechner offenbarte, belehrte mich über ihren eminenten Nutzen für die Einteilung der Korinther in verschiedene Schichten, die ja ein Land erst regierbar mache. Aber warum gerade Gold, fragte ich. Du solltest doch wissen, sagte Akamas, daß es unsere Wünsche und Begierden sind, die einem Stoff Wert, dem anderen Unwert verleihen. Der Vater unseres Königs Kreon war ein kluger Mann. Mit einem einzigen Verbot hat er das Gold in Korinth zum begehrten Objekt gemacht: mit dem Gesetz, daß Korinther, deren Abgaben an den Palast nicht eine bestimmte Höhe erreichten, keinen Goldschmuck tragen durften. Du bist auch ein kluger Mann, Akamas, sagte ich ihm. Deine Art Klugheit kam in Kolchis nicht vor. Weil sie bei euch nicht benötigt wurde, sagte er, wieder mit jenem Lächeln, das mich am Anfang verletzte. Und er hatte wohl recht.
    Aber wohin verirre ich mich. Ich muß endlich aufstehen. Wenn ich richtig sehe, Mutter, fallen die Sonnenstrahlen schon senkrecht in den Feigenbaum, ist es möglich, sollte ich den Vormittag verlegen und verschlafen haben, das hat es noch nie gegeben. Es ist wegen der Höhle, ich komme nicht hoch, jemand müßte mir helfen, Lyssa müßte kommen, die Kinder. Da, jemand fühlt meine Stirn, eine Stimme sagt: Du bist krank, Medea.
    Bist du das, Lyssa.

2
    Gewaltig ist der Antrieb der Männer,
in Erinnerung zu bleiben
und sich einen unsterblichen Namen
auf ewige Zeiten zu erwerben.
    Platon, ›Symposion‹
    Jason
    Das Weib wird mir zum Verhängnis. Als ob ich es nicht geahnt hätte. Medea wird mir zum Verhängnis, habe ich freimütig dem Akamas gesagt. Der hat mir nicht widersprochen, aber auch nicht zugestimmt, wie das seine verfluchte Art ist. Immer dieses feine Lächeln, immer dieser hintersinnige Augenausdruck, immer diese geschmeidige Redeweise, in der er mir weismachen will, mir könne doch so leicht niemand mehr schaden. Was das nun wieder soll. Klar hört er das Gras wachsen, der Herr oberster Astronom. Willst du dich über mich lustig machen, Akamas, habe ich ihn angefahren, da hat er nur bekümmert den Kopf geschüttelt, seinen großen hohlwangigen Kopf auf seinem merkwürdig schiefen Körper, an dem kein Gelenk zum andern passen will. Was für Anstrengungen er macht, um stattlich zu wirken, so hat Medea sich ausgedrückt, als sie ihm zum erstenmal begegnet war, von Anfang an hat sich ein unglückliches Verhältnis zwischen ihnen entwickelt, sie wollte ihm einfach nicht entgegenkommen. Mir schwant nichts Gutes.
    Jetzt ist er ihr Feind. Ich weiß nicht, warum, irgendetwas muß mir entgangen sein, wie mir so vieles entgeht in der Wirrnis dieses Königshauses, in dessen Gewohnheiten ich mich schwer einfügen kann. So viele Länder, so viele Städte hat meine »Argo« angelaufen, in so viele verschiedene Menschengesichter habe ich geblickt. Jetzt, nachdem mein Schiff aufgedockt ist und meine Gefährten sich zerstreut haben, ist mir nur dieser Flekken geblieben, hier muß ich mich einrichten, hier mußauch Medea sich einrichten, verdammt. Als ob das so schwer zu begreifen wäre. Sie muß diesen Akamas gereizt haben, sonst würde er jetzt nicht diese alte Geschichte, die noch dazu unbewiesen ist, aufwärmen und an die große Glocke hängen. Daß ich im Ältestenrat stehe wie der letzte Dummbart und mich zu der Beschuldigung äußern muß, daß Medea damals ihren Bruder umgebracht haben soll. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, konnte nur die Hände heben und beteuern, aber davon könne doch keine Rede sein. Also sei ich überzeugt, daß die, die sie beschuldigten, lügen?
    Wohin war ich da geraten, wohinein hatte sie mich nun schon wieder verstrickt. Überzeugt, überzeugt. Wovon kann unsereins schon überzeugt sein bei diesen Weibern. Die Ältesten bewegten zustimmend die Köpfe. Anscheinend soll es nicht mir an den Kragen gehen. Aber ihr. Und sie ist meine Frau.
    Wovon kann unsereins überzeugt sein, wenn diese Frauen sich einig sind, einen im dunkeln tappen zu lassen. Und das ist wörtlich zu nehmen. Es war ja stockdunkel, als Medea mit diesem Fellbündel im Arm an unserer Anlegestelle erschien, mehr hatte sie nicht bei sich, sie wiegte das Bündel fast wie ein Neugeborenes. Bis zuletzt hatte ich gezweifelt,
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