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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Autoren: Isabel Allende
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erste Paul Ditson kaufte das Haus im Jahr 1948, kaum dass Nichtweiße in Berkeley das Recht zum Erwerb von Grundbesitz bekamen. Die Ditsons waren die ersten Schwarzen im Viertel und blieben zwanzig Jahre die einzigen, dann zogen noch ein paar andere hin. Gebaut hat das Haus 1885 ein Orangen-Magnat, der sein gesamtes Vermögen nach seinem Tod der Universität vermachte und die eigene Familie mittellos zurückließ. Lange Zeit stand das Haus leer, wechselte dann häufig den Besitzer und verfiel zusehends, bis die Ditsons es erwarben und wieder instand setzen konnten, denn die Bausubstanz und die Fundamente sind gut. Nach dem Tod der Eltern kaufte mein Pop seinen Geschwistern ihren Anteil ab und wohnte vorerst allein in diesem Relikt aus viktorianischer Zeit, das sechs Schlafzimmer und aus unerfindlichen Gründen einen Glockenturm besitzt, in dem er sein Teleskop aufstellte.
    Als Nidia und Andy Vidal bei ihm einzogen, bewohnte er nur zwei Zimmer, die Küche und das Bad; das restliche Haus war ungenutzt. Meine Nini fegte wie ein Wirbelwind der Erneuerung durch die Räume, warf altes Gerümpel auf den Müll, putzte und räucherte Ungeziefer aus, aber ihre Aufräumwut blieb gegen das eingefleischte Tohuwabohu ihres Ehemanns ohne Chance. Nach vielen Reibereien kamen die beiden überein, dass sie im Haus tun und lassen konnte, was sie wollte, solange sie um das Arbeitszimmer und den Sternguckerturm einen Bogen machte.
    In Berkeley blühte meine Nini auf, in dieser verdreckten, radikalen, flippigen Stadt mit ihrer Mischung aller Hautfarben, wo mehr Genies und Nobelpreisträger wohnen als irgendwo sonst auf der Welt, es edle Absichten zuhauf gibt, ein intolerantes Weltverbesserertum. Meine Nini veränderte sich; als junge Witwe muss sie zurückhaltend und verantwortungsbewusst gewesen sein und hatte nicht auffallen wollen, doch in Berkeley trat ihr wahres Ich zutage. Hier musste sie keine Chauffeursuniform tragen wie in Toronto und nicht den gesellschaftlichen Schein wahren wie in Chile; hier kannte sie niemand, sie konnte sich neu erfinden. Sie übernahm den Stil der Hippies, die auf der Telegraph Avenue herumhingen und inmitten von Räucherstäbchen- und Marihuanaschwaden selbstgebastelten Schmuck verkauften. Sie trug Gewänder, Sandalen und billige Halsketten aus Indien, war aber alles andere als ein Hippie: Sie arbeitete, kümmerte sich um den Haushalt und um ihre Enkelin, engagierte sich im Viertel, und ich habe nie erlebt, dass sie bekifft Gesänge in Sanskrit angestimmt hätte.
    Zum Entsetzen der Nachbarn, fast alles Kollegen ihres Ehemanns, die in düsteren, efeuüberwucherten, vage englisch anmutenden Häusern lebten, ließ meine Nini die Ditson-Villa in psychedelischen Farben streichen, wie sie dasin der Castro Street in San Francisco gesehen hatte, wo sich die Schwulen damals niederließen und die alten Häuser aufpeppten. Wegen der violetten und grünen Fassade, der gelben Friese und Blumengirlanden aus Stuck kam es zu Gerede, und sie wurde ein paarmal aufs städtische Bauamt zitiert, aber dann druckte eine Architekturzeitschrift ein Foto von dem Haus, es avancierte zu einer Sehenswürdigkeit der Stadt und wurde alsbald kopiert von pakistanischen Restaurants, von Läden für junge Leute und Künstlerateliers.
    Auch der Inneneinrichtung drückte meine Nini ihren Stempel auf. Die wuchtigen Möbel, Standuhren und grausigen Ölschinken in Goldrahmen, die der erste Ditson angeschafft hatte, bekamen einen künstlerischen Touch durch Unmengen von Lampen mit Troddeln, verschlissene Teppiche, türkische Diwane und Spitzengardinen. Mein Zimmer war mangofarben gestrichen, hatte einen indischen Baldachin mit kleinen, umstickten Spiegelchen überm Bett, und in der Mitte hing ein geflügelter Drache, der mich hätte erschlagen könne, wäre er runtergefallen; an die Wände hatte sie Fotos von unterernährten afrikanischen Kindern gepinnt, damit ich sah, wie diese armen Geschöpfe vor Hunger starben, und aufhörte, das Essen zu verweigern. Mein Pop meinte allerdings, der Drache und die Hungerkinder würden mich um den Schlaf bringen und mir den Appetit rauben.
    Meine Gedärme sind einem Frontalangriff chilenischer Bakterien ausgesetzt. Am zweiten Tag auf dieser Insel fiel ich mit Magenkrämpfen ins Bett, und ich habe noch immer Schüttelfrost und sitze stundenlang mit der Wärmflasche auf dem Bauch am Fenster. Meine Großmutter würde sagen, ich gebe meiner Seele Zeit, mir nach Chiloé zu folgen. Sie hält Flugreisen für nicht
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