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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Autoren: Isabel Allende
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mehr, wenn ich bloß rumhänge, muskulöse Beine, ungeschickte Hände, blaue oder graue Augen, kommt auf die Tageszeit an, und wahrscheinlich bin ich blond, habe allerdings meine natürliche Haarfarbe seit Jahren nicht gesehen. Ich habe nichts von der Exotik meiner Großmutter geerbt, nicht ihren olivgrün angehauchten Teint oder die dunklen Augenringe, die ihr etwas Verruchtes geben, auch nichts von meinem Vater, der gutaussehend ist wie ein Torero und genauso eitel; meinem wunderbaren Pop sehe ich ebenfalls nicht ähnlich, weil der Ninis zweiter Ehemann war und leider gar nicht mein leiblicher Großvater.
    Ich komme nach meiner Mutter, jedenfalls in Größe und Farbton. Sie war keine Prinzessin aus Lappland, wie ich glaubte, bevor ich denken konnte, sondern eine dänische Flugbegleiterin, in die sich mein Vater, Pilot bei einer Frachtfluggesellschaft, in der Luft verliebte. Er war zu jung zum Heiraten, hatte aber die fixe Idee, sie sei die Frau seines Lebens, und verfolgte sie beharrlich, bis sie vor Erschöpfung nachgab. Oder vielleicht, weil sie schwangerwurde. Jedenfalls heirateten die beiden, bereuten es vor Ablauf einer Woche, blieben jedoch zusammen, bis ich zur Welt kam. Wenige Tage nach meiner Geburt packte meine Mutter, während ihr Mann in der Luft war, die Koffer, wickelte mich in eine Kinderdecke und fuhr im Taxi zu ihren Schwiegereltern. Meine Nini demonstrierte gerade in San Francisco gegen den Golfkrieg, aber mein Pop war zu Hause und nahm das Bündel entgegen, das sie ihm ohne große Erklärung reichte, bevor sie zu dem wartenden Taxi zurücklief. Die Enkelin war federleicht und passte in eine Hand des Großvaters. Kurz darauf schickte die Dänin die Scheidungsunterlagen und als Dreingabe den Verzicht auf das Sorgerecht für ihre Tochter. Meine Mutter heißt Marta Otter, und ich habe sie in dem Sommer kennengelernt, als ich acht war und meine Großeltern mit mir nach Dänemark reisten.
    Jetzt bin ich in Chile, dem Land meiner Großmutter Nidia Vidal, wo der Ozean Stücke aus dem Festland beißt und der südamerikanische Kontinent in Inselchen ausperlt. Genauer gesagt bin ich in Chiloé, was zum Seengebiet gehört, zwischen dem 41. und 43. südlichen Breitengrad liegt, etwa neuntausend Quadratkilometer umfasst und von zweihunderttausend Menschen bewohnt wird, die alle kleiner sind als ich. »Chiloé« bedeutet in der Sprache der Ureinwohner, dem Mapudungun, »Land der Cáhuiles«, das ist eine kreischende Möwe mit schwarzem Kopf, aber »Land des Holzes und der Kartoffeln« wäre passender. Neben der Isla Grande, auf der es ein paar größere Ansiedlungen gibt, gehören jede Menge kleinere Inseln zu Chiloé, viele davon unbewohnt. Manchmal liegen drei, vier davon so dicht beieinander, dass sie bei Ebbe zusammenwachsen, aber ich hatte nicht das Glück, auf so einer zu landen: Von hier braucht man bei ruhiger See fünfundvierzig Minuten mit dem Boot bis zur nächsten Siedlung.

    Meine Reise aus dem Norden Kaliforniens nach Chiloé begann im treuen gelben VW meiner Großmutter, der seit dem Jahr 1999 siebzehn Unfälle überstehen musste, aber nach wie vor tuckert wie ein Ferrari. Aufgebrochen bin ich im tiefsten Winter, an einem dieser windigen, regnerischen Tage, wenn die Bucht von San Francisco alle Farbe verliert und aussieht wie eine grauschattierte Tuschezeichnung. Meine Großmutter fuhr wie üblich mit röhrendem Motor, hielt das Lenkrad umklammert wie einen Rettungsring und den Blick mehr auf mich als auf die Fahrbahn gerichtet, weil sie mir letzte Anweisungen geben musste. Sie hatte mir noch nicht erklärt, wo genau sie mich hinschickte; »Chile«, mehr hatte sie über ihren Plan, mich verschwinden zu lassen, bisher nicht gesagt. Im Auto eröffnete sie mir jetzt Genaueres und drückte mir einen billigen kleinen Reiseführer in die Hand.
    »Chiloé? Wie ist es da?«, wollte ich wissen.
    »Alles, was du wissen musst, steht da drin.« Sie zeigte auf das Buch.
    »Ziemlich weit weg …«
    »Je weiter, desto besser. In Chiloé habe ich einen Freund, Manuel Arias, und abgesehen von Mike O’Kelly, ist er der einzige Mensch auf der Welt, bei dem ich mich traue zu fragen, ob er dich für ein, zwei Jahre versteckt.«
    »Ein, zwei Jahre! Bist du noch bei Trost, Nini!«
    »Hör zu, Kleine, es gibt Momente im Leben, da hat man keine Macht über das, was mit einem geschieht, es geschieht einfach. Das hier ist so ein Moment.« Und während sie das sagte, hing sie mit der Nase an der Windschutzscheibe und
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