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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Autoren: Isabel Allende
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bewundert die sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet, weil sie mit ihrer Regierung hervorragende Arbeit geleistet hat und eine sehr feinsinnige Frau ist, aber er kann die Mitte-Links-Parteien nicht ausstehen, die seit zwanzig Jahren an der Macht sind, und meint, die Rechte sei jetzt an der Reihe. Außerdem ist der künftige Präsident ein Freund von ihm, und das ist in Chile sehr wichtig, weil alles über Verbindungen und Verwandtschaftsbeziehungen geregelt wird. Für Manuel war das Wahlergebnis ein Schlag, auch weil Piñera finanziell von der Pinochet-Diktatur profitiert hat, aber Blanca sagt, es werde sich nicht viel ändern. Chile ist das wohlhabendste und stabilste Land Lateinamerikas, und der neue Präsident müsste sehr ungeschickt sein, wollte er alles umkrempeln. Was nicht der Fall ist, denn man kann Piñera wohl einiges nachsagen, aber gewiss nicht, dass er ungeschickt ist; seine Geschicktheit ist atemberaubend.
    Manuel rief bei meiner Großmutter und meinem Vater an und berichtete ihnen von meinem Unfall, ohne sie mitden gruseligen Einzelheiten meines Zustands zu beunruhigen, und die beiden wollen über Weihnachten herkommen. Meine Nini hat das Wiedersehen mit ihrer Heimat lange genug aufgeschoben, und mein Vater erinnert sich kaum noch. Höchste Zeit, dass sie kommen. Sie konnten mit Manuel ohne umständliche Codes und Verschlüsselungen reden, denn mit Aranas Tod ist die Gefahr ausgestanden, ich muss mich nicht mehr verstecken und kann nach Hause, sobald meine Beine mich tragen. Ich bin frei.

LETZTE SEITEN
    Vor einem Jahr bestand meine Familie aus einem Toten, meinem Pop, und drei Lebenden, meiner Großmutter, meinem Vater und Mike O’Kelly, aber heute habe ich eine große Sippe, auch wenn wir ein wenig verstreut sind. Das ist mir klar geworden an diesem denkwürdigen Weihnachten, das wir gerade in dem türlosen Haus aus patagonischem Zypressenholz gefeiert haben. Es war mein fünfter Tag auf der Insel, nachdem ich mich eine Woche beim Millalobo erholt hatte. Meine Nini und mein Vater waren am Tag zuvor mit vier Koffern angereist, weil ich sie darum gebeten hatte, mir Bücher mitzubringen, zwei Fußbälle und Unterrichtsmaterial für die Schule, die Harry-Potter-Filme auf DVD und noch ein paar andere Geschenke für Juanito und Pedro und einen PC für Manuel, wofür ich ihnen das Geld zurückzahlen werde, sobald ich kann. Ursprünglich wollten sie in ein Hotel, als wären wir hier in Paris; auf der Insel gibt es bloß ein feuchtes Gästezimmer über einem der Fischgeschäfte. Deshalb schlafen meine Nini und ich jetzt in Manuels Bett, mein Vater in meinem und Manuel bei Blanca. Wegen des Unfalls und weil ich Ruhe halten soll, lassen sie mich nichts machen und bemuttern mich wie ein kleines Kind. Ich sehe immer noch fürchterlich aus, die Augen blau unterlaufen, die Nase wie eine Aubergine, ein Mordspflaster auf dem Schädel, außerdem die gebrochenen Zehen und am ganzen Körper Blutergüsse, die sich langsam grün färben, aber wenigstens habe ich schon provisorisch neue Zähne im Mund.
    Im Flugzeug erzählte meine Nini ihrem Sohn die Wahrheit über Manuel Arias. Weil er angeschnallt war, konntemein Vater keine richtige Szene hinlegen, aber ich glaube, er wird es ihr nicht so schnell verzeihen, dass sie ihm vierundvierzig Jahre etwas vorgemacht hat. Die Begegnung zwischen meinem Vater und Manuel lief gesittet ab, erst ein Händedruck, dann umarmten sie sich scheu und schüchtern, und lange Erklärungen gab es keine. Was hätten sie auch sagen sollen? Sie werden sich in den gemeinsamen Tagen hier ein bisschen kennenlernen, und wenn sie einander mögen, können sie eine Freundschaft aufbauen, was bei der Entfernung nicht ganz einfach wird. Von Berkeley nach Chiloé ist es so weit wie zum Mond. Als ich sie zusammen sah, fiel mir auf, dass sie einander ähnlich sehen, in dreißig Jahren wird mein Vater ein schöner alter Mann sein wie Manuel.
    Das Wiedersehen meiner Nini mit ihrem ehemaligen Geliebten war auch nicht der Rede wert: zwei laue Küsschen auf die Wange, wie hierzulande üblich, das war’s. Blanca hatte ein scharfes Auge auf sie, obwohl ich ihr vorher gesagt hatte, meine Großmutter sei sehr zerstreut und habe ihr kopfloses Liebesabenteuer mit Manuel Arias bestimmt längst vergessen.
    Blanca und Manuel bereiteten das Weihnachtsessen zu   – Lamm, kein Lachs   –, und meine Nini staffierte das Haus nach ihren kitschigen Vorlieben mit Lichterketten und ein paar Papierfähnchen aus, die
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