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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Autoren: Isabel Allende
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Felsen aus bewacht.
    Juanito sagte aus, er habe mich auf dem schmalen Sandstreifen zwischen Grotte und Meer gefunden, und der Mann habe auf den Felsen und halb im Wasser gelegen. Pedro war sich nicht sicher, ob er den Mann gesehen hatte, er sei sehr erschrocken über das viele Blut an meinem Kopf und habe nicht nachdenken können, sagte er. Er versuchte, mich hochzuheben, aber da fiel Juanito der Erste-Hilfe-Kurs von Liliana Treviño ein, er entschied, sie sollten mich besser nicht bewegen, und schickte Pedro Hilfe holen, während er selbst bei mir blieb und mich festhielt aus Furcht, die Flut werde mich erreichen. Dem Mann zu helfen kam ihm nicht in den Sinn, er war überzeugt, dass der tot war, denn einen Sturz aus dieser Höhe auf die Felsen konnte keiner überleben.
    Pedro kletterte wie ein Affe die Klippe hinauf und rannte zur Polizeiwache, wo er niemanden fand, und von dort weiter zur »Taverne zum lieben Toten«. In Windeseile wurde die Bergung organisiert, mehrere Männer liefen den Hügel hinauf, und jemand trieb die Polizisten auf, die im Jeep ankamen und das Kommando übernahmen. Weil ich heftig blutete, versuchte man nicht, mich an Seilen in die Höhe zu ziehen, wie einige vorschlugen, die zu viel getrunken hatten. Jemand gab sein Hemd her, um die Platzwunde an meinem Kopf zu verbinden, und andere bauten einebehelfsmäßige Bahre, bis endlich das Boot für meine Bergung eintraf, was einige Zeit dauerte, denn es musste einmal um die halbe Insel fahren. Zwei Stunden später, als sich die Aufregung um meine Rettung gelegt hatte, begann die Suche nach dem zweiten Opfer, aber da war es bereits dunkel, und man musste sie bis zum nächsten Morgen aufgeben.
    Der schriftliche Bericht der Polizisten unterscheidet sich etwas von dem, was sie bei ihren Ermittlungen herausgefunden haben, er ist ein Meisterwerk der Auslassung:
    Die Unterzeichnenden, Unteroffizier Laurencio Cárcamo Ximénez und Unteroffizier Humilde Garay Ranquileo, geben zu Protokoll, am gestrigen Samstag, dem 5. Dezember 2009, die Staatsbürgerin der Vereinigten Staaten Maya Vidal aus Kalifornien, vorübergehend wohnhaft in oben genanntem Dorf, geborgen zu haben, nachdem sie einen Sturz von der sogenannten »Klippe der Pincoya« im Nordosten der Insel erlitten hatte. Besagte Dame befindet sich außer Lebensgefahr im Krankenhaus von Castro, wohin sie mit dem von den Unterzeichnenden angeforderten Hubschrauber der Streitkräfte verbracht wurde. Die Verunfallte wurde entdeckt von dem Minderjährigen Juan Corrales, elf Jahre, und dem Minderjährigen Pedro Pelanchugay, vierzehn Jahre, beide gebürtig auf hiesiger Insel, als diese sich auf besagter Klippe befanden. Vorschriftsgemäß befragt, gaben die beiden Zeugen zu Protokoll, dass sie eine zweite Person von besagter Klippe stürzen sahen, einen auswärtigen Besucher männlichen Geschlechts. Gefunden wurde auf den Felsen der sogenannten »Grotte der Pincoya« eine Fotokamera in schlechtem Zustand. Aufgrund dieser Kamera der Marke Canon gehen die Unterzeichnenden davon aus, dass es sich bei dem Opfer um einen Touristen handelt. Die Polizei der Isla Grande ist gegenwärtig dabei, die Identität des besagten Auswärtigen zu ermitteln. Die Minderjährigen Corrales und Pelanchugay glauben, dass beide Opfer oberhalb der Klippe ausgerutscht sind, sind sich jedoch aufgrund wetterbedingt mangelnder Sichtweite wegen Nebels nicht sicher. Frau Maya Vidal stürzte auf Sand, wohingegen der Herr Tourist auf die Felsen stürzte und durch den Aufprall starb. Mit der steigenden Flut wurde der Leichnam von der Strömung aufs Meer hinausgezogen und ist nicht gefunden worden.
    Die unterzeichnenden Unteroffiziere beantragen erneut die Anbringung eines Sicherheitsgeländers an der sogenannten »Klippe der Pincoya« wegen der von ihr ausgehenden Gefährdung, ehe weitere Damen und Herren Touristen ihr Leben verlieren, was dem Ruf der Insel schweren Schaden zufügen würde.
    Nicht ein Wort darüber, dass der Auswärtige mit einem Foto in der Hand nach mir gesucht hat. Oder dass noch nie ein Tourist auf eigene Faust auf unser Inselchen gekommen ist, wo es außer dem Curanto wenig zu sehen gibt; sie kommen immer in den Gruppen der Öko-Reiseveranstalter. Trotzdem hat niemand den Bericht der beiden Polizisten in Zweifel gezogen, vielleicht weil man auf der Insel keinen Ärger will. Die einen sagen, den Toten hätten die Lachse gefressen und das Meer werde vielleicht dieser Tage seine abgenagten Knochen an den Strand spucken, und
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