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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Autoren: Isabel Allende
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Nelken und Lilien. Durch das Alter war Doña Lucinda so klein geworden, dass ihr Körper den Sarg nur halb ausfüllte und ihr Kopf auf dem Kissen aussah wie der eines kleinen Kindes. Auf dem Tisch stand zwischen zwei Blechkerzenständern mit Kerzenstümpfen ein handkoloriertes Hochzeitsbild der Verstorbenen, auf dem man sie als Sechzehnjährige im Brautkleid am Arm eines Soldaten in altertümlicher Uniform sieht, des ersten ihrer insgesamt sechs Ehemänner, vor vierundneunzig Jahren.
    Der Kirchenhelfer leitete das Rosenkranzgebet der Frauen und den etwas schrägen Gesang, während die Männer an den Tischen im Hof ihre Trauer mit Schweinefleisch in Zwiebelsoße und Bier linderten. Tags darauf kam derfahrende Priester, der hier wegen seiner langen Predigten »Drei Fluten« genannt wird, denn er beginnt mit einsetzender Flut und endet erst zwei Fluten später. Er las die Messe in der Kirche, die so voller Menschen war, so verraucht von Kerzen und geschwängert vom Duft von Wiesenblumen, dass mir hustende Engel erschienen.
    Der Sarg ruhte auf einem Metallgestell vor dem Altar, war mit einem schwarzen Tuch mit weißem Kreuz darauf abgedeckt und mit zwei Kandelabern geschmückt. Darunter stand eine Waschschüssel, »falls der Leib aufbricht«, wie mir erklärt wurde. Ich habe keine Ahnung, wie man sich das vorstellen muss, aber es klingt fies. Die Gemeinde betete und sang chilotische Walzer zum Spiel von zwei Gitarren, danach ergriff Drei Fluten das Wort und ließ es fünfundsechzig Minuten nicht mehr los. Er begann mit einem Lob auf Doña Lucinda, schweifte jedoch schnell ab auf andere Themen, sprach über Politik, die Lachsindustrie und Fußball, während seine Zuhörerschar langsam wegdämmerte. Der Priester ist vor fünfzig Jahren als Missionar nach Chile gekommen, und man hört noch heute seinen Akzent. Während des Abendmahls kamen ein paar Leuten die Tränen, wir anderen wurden davon angesteckt, und am Ende weinten sogar die beiden Gitarrenspieler.
    Als nach der Messe die Glocken zum Geleit auf den Friedhof läuteten, hoben acht Männer den Sarg an, der nichts wog, und trugen ihn gemessenen Schrittes nach draußen. Das gesamte Dorf folgte ihnen und nahm die Blumen aus der Kirche mit. Am Grab sprach der Priester noch einmal den Segen für Doña Lucinda, und als man sie eben hinab in die Grube lassen wollte, kamen keuchend der Bootsbauer und sein Sohn angelaufen und brachten ein Grabhäuschen für das Grab, in aller Eile hergestellt, aber wunderhübsch. Da Doña Lucinda keine lebenden Angehörigen mehr besaß und Juanito und ich die Tote gefunden hatten, kamen die Leute der Reihe nach zu uns und sprachen uns mit einem traurigen Druck ihrer von der Arbeit schwieligen Hände ihr Beileid aus, ehe sie in Massen in die »Taverne zum lieben Toten« strömten, um den obligatorischen Trosttrunk zu nehmen.
    Ich verließ den Friedhof als Letzte, als der Nebel vom Meer aufzuziehen begann. Ich dachte daran, wie sehr mir Manuel und Blanca in diesen beiden Tagen der Trauer gefehlt hatten, dachte an Doña Lucinda, die im Dorf so beliebt gewesen war, und daran, wie einsam im Vergleich dazu die Beisetzung von Carmelo Corrales gewesen war, aber vor allem dachte ich an meinen Pop. Meine Nini redet immer davon, dass sie seine Asche auf einem Berg, möglichst nah am Himmel, verstreuen will, aber inzwischen sind vier Jahre vergangen, und die Asche wartet weiter in einer Porzellanurne auf ihrer Kommode. Ich folgte dem Pfad den Hügel hinauf zur Grotte der Pincoya, weil ich hoffte, meinen Pop in der Luft zu spüren, und wollte ihn um die Erlaubnis bitten, seine Asche hierher auf die Insel zu bringen, sie auf dem Friedhof mit Blick aufs Meer beizusetzen und das Grab mit einer hölzernen Miniaturausgabe seines Sternguckerturms zu schmücken, aber er kommt nicht, wenn ich ihn rufe, sondern nach Lust und Laune, und diesmal wartete ich vergeblich oben auf der Kuppe. Durch das Ende meiner Liebe zu Daniel bin ich in diesen Tagen sehr dünnhäutig gewesen und ängstlich wegen böser Vorahnungen.
    Die Flut stieg, und der Nebel wurde dichter, aber noch konnte man den Eingang der Höhle von oben erkennen; etwas weiter lagen die schweren Leiber der Seelöwen dösend auf den Felsen. Die Klippe fällt nur etwa sechs Meter steil zum Meer ab, und ich bin schon zweimal mit Juanito nach unten geklettert. Man braucht dabei Geschick und Glück, denn man könnte leicht abrutschen und sich den Hals brechen, deshalb ist der Weg für Touristen gesperrt.
    Ich will
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