Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Kindergarten von meiner Familie malte, waren meine Großeltern in Knallfarben in der Mitte zu sehen, an den einen Rand malte ich eine Fliege – das Flugzeug von meinem Vater – und an den anderen eine Krone für meine blaublütige Mutter. Um letzte Zweifel auszuräumen, nahm ich am nächsten Tag mein Buch mit, in dem die Prinzessin in einem Umhang aus Hermelin auf einem weißen Bären reitet. Die gesamte Kindergartengruppe lachte mich aus. Wieder zu Hause, schob ich das Buch zu dem Maiskuchen, der im Backofen auf Höchsttemperatur garte. Als die Feuerwehr fort war und der Rauch sich langsam legte, ging meine Großmutter mit ihren üblichen »Du verdammter Mistkäfer!«-Schreien auf mich los, und mein Pop versuchte, mich aus der Gefahrenzone zu bugsieren, ehe sie mir den Kopf abriss. Schluchzend und schniefend erzählte ich den beiden dann, im Kindergarten hätten sie mich »das Waisenkind aus Lappland« genannt. Was bei meiner Nini einen ihrer jähen Stimmungsumschwünge auslöste, sie drückte mich fest an ihre papayagroßen Brüste und versicherte mir, ich wäre alles andere als ein Waisenkind, schließlich hätte ich einen Vater und Großeltern, und wer es wagte, mich zu beleidigen, der würde es mit der chilenischen Mafia zu tun bekommen. Diese Mafia besteht aus ihr allein, doch fürchten Mike O’Kelly und ich uns sehr vor ihr und nennen meine Nini deshalb auch Don Corleone.
Meine Großeltern nahmen mich aus dem Kindergarten und brachten mir die Grundlagen des Ausmalens und das Formen von Knetwürmern fürs Erste zu Hause bei, bis mein Vater von einer seiner Reisen zurückkehrte und entschied, dass ich, neben den Junkies von O’Kelly und den phlegmatischen Hippies und gnadenlosen Feministinnen, mit denen meine Mutter verkehrte, einen altersgerechten Umgang brauchte und zur Schule gehen sollte. Die war in zwei alten Gebäuden untergebracht, die im ersten Stock durch eine überdachte Brücke miteinander verbunden waren, ein architektonisches Glanzstück und nur in der Luft gehalten dank ihrer Krümmung wie die Gewölbe alter Kathedralen, erklärte mir mein Pop, obwohl ich gar nicht danach gefragt hatte. Der Unterricht folgte einer experimentellen Lehrmethode aus Italien, nach der die Schüler tun konnten, was sie wollten, in den Klassenzimmern keine Tafeln und keine Schulbänke standen, wir auf dem Boden hockten, die Lehrerinnen keinen BH und keine Schuhe trugen, und jeder in seiner eigenen Geschwindigkeit lernte. Mein Vater hätte vielleicht eine Militärschule bevorzugt, überließ die Entscheidung aber meinen Großeltern, weil die mit meinen Lehrerinnen klarkommen und mir bei den Hausaufgaben helfen mussten.
»Dieses Kind ist geistig minderbemittelt«, behauptete meine Nini, als sie merkte, wie langsam ich lernte. Ihr Wortschatz ist gespickt mit politisch bedenklichen Ausdrücken, wie »minderbemittelt«, »fett«, »Zwerg«, »Krüppel«, »Schwuchtel«, »Mannweib«, »chinesichel Leisflessel« und etlichem mehr, was mein Großvater mit ihrem limitierten Englisch zu entschuldigen versuchte. Sie ist der einzigeMensch in Berkeley, der »schwarz« sagt statt »afroamerikanisch«. Laut meinem Pop war ich nicht lernschwach, sondern phantasiebegabt, was weniger schlimm ist, und die Zeit gab ihm recht, denn sobald ich das Alphabet konnte, las ich gierig und schrieb Hefte voll mit geschraubten Gedichten und meiner erfundenen Lebensgeschichte, die sehr bitter war und todtraurig. Ich hatte festgestellt, dass Glück fürs Schreiben nicht zu gebrauchen ist – ohne Leiden keine Geschichte –, und kostete es im Stillen aus, als Waisenkind bezeichnet worden zu sein, weil die einzigen Waisenkinder in meinem Gesichtsfeld aus alten Märchen stammten und durchweg schrecklich unglücklich waren.
Meine Mutter, Marta Otter, die fabulöse Prinzessin aus Lappland, war im skandinavischen Nebel verschwunden, bevor ich ihren Geruch in die Nase bekam. Ich besaß ein Dutzend Fotografien von ihr und ein Geschenk, das sie zu meinem vierten Geburtstag mit der Post geschickt hatte, eine Meerjungfrau auf einem Felsen in einer Glaskugel, in der es zu schneien begann, wenn man sie schüttelte. Die Glaskugel war mein wertvollster Schatz, bis ich acht wurde und sie schlagartig jeden sentimentalen Wert verlor, aber das ist eine andere Geschichte.
Ich bin stocksauer, weil mein einziger nennenswerter Besitz, mein iPod, verschwunden ist und mit ihm der Sound der Zivilisation. Ich glaube, Juanito Corrales hat ihn mitgehen lassen. Ich
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