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Max Weber (German Edition)

Max Weber (German Edition)

Titel: Max Weber (German Edition)
Autoren: Dirk Kaesler
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Leitvorstellung im Vordergrund als die sehr viel speziellere Perspektive auf die Charakteristika des «okzidentalen Rationalismus». Darum stellte er vordringlich Fragen wie:
    – Warum entstanden gerade und nur im neuzeitlichen Westeuropa eine «rationale» Wissenschaft und Technik, ein «rationaler» Industriekapitalismus, eine «rational»-bürokratische Organisation des Staates?
    – Warum gab es einen ähnlichen «Rationalisierungs»-Prozess nicht auch im außereuropäischen Raum, besonders in Asien, wo doch weitaus ältere und differenziertere Kulturen existierten?
    – Welche Vorzüge für die jeweilige Gesellschaft und einzelne Gruppen in ihr brachte diese «Rationalisierung», und welcher Preis wurde von der Gesellschaft, von sozialen Gruppen und vom einzelnen Individuum für diese Entwicklung gefordert?
    Gerade bei Webers Antworten auf die zuletzt genannte Frage wird deutlich, dass die Unterstellung, er habe die Entwicklung der Rationalisierung als ungeheuer positiv und erstrebenswert geschildert, um so eine «Apologie des bürgerlichen Zeitalters» zu geben, seine tiefe Skepsis und seine Befürchtungen vor den Auswirkungen dieser Entwicklung verkennt. Seine eigenen Ausführungen über die «Irrationalität» der von ihm untersuchten Rationalisierungsprozesse, die neben der Effektivitätssteigerung auch eine weitreichende «Entmenschlichung» mit sich bringen, machen ihn über den Vorwurf erhaben, zum Apologeten derartiger Entwicklungen geworden zu sein.

XII Die Grenzen der Rationalität. Musik und Tod
    Marianne Weber berichtete vom Plan ihres Mannes, «irgendwann eine alle Künste umfassende Soziologie» zu schreiben. Davon verfasste Weber – vermutlich zwischen 1910/11 – allein die Vorarbeit über Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik, die erst ein Jahr nach seinem Tod publiziert wurde. Auf die Ergebnisse dieses musiksoziologischen Fragments – vor allem eine Materialsammlung mit teilweise übergangslos verbundenen Einzelfragen – bezog sich Weber an mehreren entscheidenden Stellen, so vor allem in seinem Aufsatz Der Sinn der ‹Wertfreiheit › der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften, in seiner Rede Wissenschaft als Beruf und in der Vorbemerkung zu den Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie. Infolge der ausführlichen Behandlung musiktheoretischer Probleme wurde diese Arbeit zumeist nicht rezipiert, zumindest nicht in der Soziologie. Sie ist jedoch, gerade für ein abschließendes Gesamtverständnis des Weber’schen Werks und seines Lebens, von hervorgehobener Bedeutung.
    Das späte Zentralthema Webers war der universalhistorische Prozess der «Rationalisierung», den er für die Bereiche der Wirtschaft, der Wissenschaft, des Rechts, der Herrschaft und der Religion untersucht hatte. Daher reizte ihn diese Fragestellung auch im Bereich der «Kultur», gerade wegen ihrer vermeintlichen «Irrationalität». Obwohl auch in diesem Fragment zur Musiksoziologie die Rationalisierungs-Hypothese das Grundthema ist, dokumentiert gerade diese Studie, dass Weber gegen Ende seines Lebens von seiner eigenen Schreckensvision von der universalen Rationalisierung nicht mehr ganz so überzeugt war.
    Alle komparativ historischen Feststellungen, die Weber zur Harmonielehre «alter» und «moderner» Musik, zur Entstehung der Notenschrift und zur Entwicklung des Instrumentenbaus machte, zielten auf den Nachweis einer allmählichen Auflösung mystischer und «irrationaler» Qualitäten in der Kunst bzw. der Kunstausübung und deren Ersetzung durch rationale Muster. Das Hauptergebnis dieser Untersuchung war die Ablösung des Prinzips der simplen Distanz von Tönen untereinander durch das «rationale» Prinzip der Akkordharmonie. Diese Entwicklung interpretierte Weber als Zeichen einer rationalen Mentalität der abendländischen Gesellschaft.
    Für diese Entwicklung machte Weber vor allem zwei Momente verantwortlich: die Entwicklung der modernen Notenschrift und die Entwicklung moderner Musikinstrumente, die er beide mithilfe seines sozioökonomischen Ansatzes zu erklären suchte. Gerade in diesem Text zeigt sich das eigentliche Thema des späten Max Weber: der Zusammenhang von Freiheit und Rationalität bzw. deren gegenseitige Spannung. Ebenso wie bei seiner Auseinandersetzung mit dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Religion und individueller Freiheit, so spürte Weber auch bei seiner Beschäftigung mit den rationalen Grundlagen der abendländischen Musik vor allem der Frage
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