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Mattuschkes Versuchung

Mattuschkes Versuchung

Titel: Mattuschkes Versuchung
Autoren: Rolf Ersfeld
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blauen Pullover, der sich erfolglos an Gedichtbänden versuchte. Schließlich Sophie, Aerobiclehrerin in einem angesagten Fitnesszentrum, mit auffallenden Hasenzähnen, die fast dazu zwangen, ihr Karotten anzubieten und Cousine Peppermint Leila, die sich einer Ausbildung als Kosmetikerin und Podologin unterzog. Leila, unentwegt Kaugummi kauend, mit rot gefärbten Haaren, litt unter chronischem Lachreflex, der, einmal in Gang gesetzt, nicht nur das ganze Lokal mitreißen, sondern sie selbst zu Krämpfen mit der Gefahr akuter Atemblockade führen konnte.
    Sophies schwarzes Haar war an den Seiten hoch rasiert, so dass es wie ein auf den Kopf drapiertes Vogelnest aussah. Piercings an der Oberlippe und den Ohrenrändern, die wie genietet wirkten, rundeten das bizarre Erscheinungsbild ab. Sie war von kleiner Statur und etwas verzogen, was Rick zu der flapsigen, wenig charmanten Bemerkung veranlasste, sie einmal auf die Richtbank seiner Werkstatt zu legen, was sie aber nicht übel nahm. Insgesamt war sie alles andere als attraktiv. Was am meisten in dem schmalen Gesicht auffiel, waren ihre Augen, die, wie eben erblühte Vergissmeinnicht, hellblau heraus stachen und selbst den unaufmerksamsten Betrachter fesseln mussten. So lebte Sophies Äußeres von seinen Kontrasten. Sie tanzte unermüdlich, Zumba war gerade aktuell; bot sich keiner der männlichen Gäste an, tanzte sie mit Leila oder anderen Bekannten und erkor auch Louise verschiedentlich als Partnerin aus, besessen von ihrer Bewegungsmanie, die sie kaum einmal ruhig sitzen ließ.
    Nachdem Louise die Truppe einige Male angetroffen hatte, inzwischen mit freundlichem, Hallo begrüßt und hinzugebeten wurde, gefiel ihr die illustre Gesellschaft und gute Laune, die dort an der Tagesordnung war. Hier konnte sie ein wenig aus der tristen häuslichen Atmosphäre ausbrechen.
    Hano, der Wortführer, erzählte unglaubliche Episoden von seinen Waldläufen oder dem Klinikalltag, die andere heiter kommentierten und mit eigenen Erlebnissen anreicherten, besonders Peppermint-Leila, die von den Marotten, Quark-Honigmasken und delikaten Haarentfernungen der dekadenten Kosmetikklientel zu berichten wusste. Äußerte sich Rick einmal, was selten vorkam, verstummten alle schlagartig, als gelte es, ein Naturereignis zu erleben. Auch in dieser Hinsicht gab es Parallelen zum wortkargen Bronson im Film ,Spiel mir das Lied vom Tod’. Bei der stoischen Ruhe, die er ausstrahlte, hatte sie den Eindruck eines im permanenten Winterschlaf befindlichen Säugetiers, dessen Körpertemperatur und Grundumsatz auf ein Minimum zurückgefahren ist. Sie fragte sich, wie es zu dieser eigenwilligen Formation von Freunden kommen konnte, was Rick, den Schweigsamen, aus der Mitte hob und zu ihrem Guru machte. Sophie stand auf ihn, das war nicht zu übersehen. »Es ist das Animalische, das Unberechenbare in ihm, das mich reizt, er ist überlegen und klug, scheint nur leider kein Interesse an mir zu haben«, vertraute sie ihr einmal an. Es war unverkennbar, dass von ihm, seiner Ruhe und dem bis in die letzten Winkel dringenden Blick seiner zu Schlitzen verengten Augen und den hinter der Stirn nicht einzuschätzenden Gedanken, eine besondere Macht und Faszination für andere ausging. Louise war überzeugt davon, dass Hano es nicht aushalten könnte, Ricks Blick und Schweigen lange zu ertragen und deshalb zum Schwadronieren gezwungen war, um dem unheimlichen Gefühl zu entgehen. Andererseits lauschte man Ricks seltenen Kommentaren mit besonderer Aufmerksamkeit, da man ihnen aufgrund der langen Schweigezeiten hohen geistigen Gehalt und Ausgewogenheit unterstellte, was keinesfalls zutreffen musste. Damit punktete er bei Gesprächspartnern nach der umgekehrten Devise: si tacuisses, philosophus mansisses ( wenn du doch geschwiegen hättest, man hielte dich für einen Philosophen). Der Sinngehalt dieses Zitates, das sie noch aus den Jahren fakultativen Lateinunterrichts in Erinnerung hatte, erschloss sich ihr jetzt in bester praktischer Anschauung. Rick war alles andere als Philosoph oder geistiger Überflieger, das war ihr sonnenklar, aber sympathisch, ehrlich, kalkulierbar und stoisch an Grundsätzen festhaltend. Genüsslich erzählte man sich die Story, wie er von einem nervösen Typen mit vorgehaltenem Messer aufgefordert wurde, Geld herauszurücken, ihn lange ansah und seelenruhig fragte: »Kannst du das noch mal wiederholen?« – Worauf der Angreifer derart erschrocken davonlief, als hätte er das Signalhorn der
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