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Maskerade

Maskerade

Titel: Maskerade
Autoren: Noah Berg
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weit geöffnet und im Spalt erscheint Toms Gesicht. Sascha spürt die Elektrizität die seinen Körper in dem Moment durchfährt, in dem er in Toms vor Überraschung weit geöffnete Augen sieht. Dieser will die Tür gerade wieder zuschlagen, als sich Sascha mit aller Kraft gegen sie wirft und mit der Tür ins Innere der Wohnung stolpert. Die Tür prallt zuerst mit voller Wucht gegen Tom und knallt dann laut gegen die hinter ihr liegende Wand. Sascha versucht, sein Gleichgewicht zu halten. Er sieht, wie Tom rückwärts durch den Raum geschleudert wird und dabei wild mit den Armen durch die Luft fuchtelt bei dem Versuch, irgendwo Halt zu finden. Sascha kann sich nicht mehr abfangen und landet unsanft auf seinen Knien. Der Schmerz, der ihn dabei durchfährt, steigert seine Wut noch und wie von Sinnen schreit er Tom an: „Du Dreckskerl! Du mieses, kleines Arschloch!“ Er reißt den Kopf hoch und sieht dann, wie der kleine Läufer zu Toms Füßen nachgibt und auf den Fußbodenfliesen ins Rutschen gerät. Nun verliert Tom endgültig das Gleichgewicht und wird brutal von den Füßen gerissen. Sascha sieht wie in Zeitlupe, dass Tom nach hinten wegkippt. Kurz darauf vernimmt er einen dumpf klingenden, irgendwie seltsamen Laut, als Toms Hinterkopf auf einem kleinen, massiven Beistelltisch aus Mahagoni aufschlägt.
    Danach ist es plötzlich ganz still, bis sich schließlich ein lautes Keuchen in Saschas Bewusstsein drängt. Nur langsam wird ihm bewusst, dass das Keuchen aus seiner eigenen Kehle kommt. Mühsam rappelt er sich auf.
    „Ich mach dich fertig, du Hurensohn! Ich hab dich gewarnt!“, zischt er immer noch halb blind vor Hass. Dabei macht er ein paar Schritte auf Tom zu und bleibt dann abrupt stehen. Irgendetwas an dem Bild, dass Tom ihm bietet, stimmt nicht. Toms Kopf und Hals sitzen irgendwie unnatürlich auf den Schultern und seine immer noch weit aufgerissenen Augen haben ihren Glanz verloren. Sie blicken matt und starr geradeaus. Ins Nichts.
    Sascha blickt zu dem kleinen Mahagonitisch, der ein Vermögen gekostet haben muss. An der Kante klebt etwas Tiefrotes, leicht dickflüssiges - Blut!, schießt es Sascha durch den Kopf, aber nur langsam realisiert er, dass Tom tot ist. Er steht nur da. Sieht auf Tom hinab, wieder zum Tisch und wieder zu Tom. So vergehen Minuten. Oder auch vielleicht Stunden. Sascha weiß es nicht, er hat jegliches Zeitgefühl verloren. Er weiß nur, dass er von hier verschwinden muss. Und zwar sofort. Er macht auf dem Absatz kehrt, rennt aus der Wohnung und zu den Treppen zurück. Immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, arbeitet er sich ins Erdgeschoss vor. Unten angekommen, reißt er die Haustür auf, läuft eilig zu seinem Wagen, hastet auf den Fahrersitz und mit eingezogenem Kopf rast er durch die Straßen davon.
     
     
    *
     
     
    Sascha weiß nicht, wie lange er ziellos und keinen klaren Gedanken fassen könnend durch die Gegend gefahren ist. Die Sonne ist inzwischen längst untergegangen und die Dämmerung hat eingesetzt. Als er schließlich ein Gewerbegebiet erreicht, in dem er noch nie zuvor gewesen ist, fährt er auf den Parkplatz eines großen Supermarktes. Er bringt den Wagen zum Stehen und schaltet den Motor ab. Die Hände auf dem Lenkrad lassend, starrt er vor sich hin. Er zwingt sich, sich auf seine Atmung zu konzentrieren.
    Schließlich steigt er aus und läuft um den Wagen herum. Der Parkplatz ist leer. Er sieht weder ein anderes Auto, noch irgendeine andere Menschenseele. Die Angestellten des Supermarktes, die Kunden, alle, die hier tagsüber für ein buntes Treiben sorgen, sie alle sind nun zuhause, schießt es Sascha durch den Kopf. Sie sitzen in ihren Gärten, auf ihren Balkonen oder in Biergärten, mit ihren Familien und Freunden und genießen den Sommerabend.
    Sascha kann sich nicht erinnern, sich jemals in seinem Leben so einsam gefühlt zu haben, wie in diesem Moment.
    Ziellos beginnt er, auf dem trostlos daliegenden Parkplatz umherzulaufen und spürt die aufgestaute Hitze des Tages, die der Asphalt nun zurück gibt.
    Immer wieder sieht er Tom vor sich und dessen grotesk abgewinkelten Kopf. Die leeren Augen, die ihn anklagen.
    „Du hast es verdient!“, schreit Sascha laut vor sich hin. „Du hast nichts anderes verdient!“
    Bei jedem Satz schlägt er mit den Armen aus, wie um dem Gesagten mehr Gewicht zu verleihen. Nach einiger Zeit beruhigt er sich schließlich ein wenig.
    „Er hat es verdient. Es war nicht das, was ich wollte, aber er hat es verdient“,
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