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Masala Highway

Titel: Masala Highway
Autoren: Gabriel A Neumann
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höchstens auf exklusiven Filmfestivals zu sehen waren. Doch die synchronisierten Fassungen auf DVD zeigen nur einen kleinen Ausschnitt der indischen Welt des Films. Was man hier sieht, sind die teuren, familienfreundlichen Produktionen aus Bombay – und meist keine aus Südindien. So vielfältig wie die Kultur und die Sprachen seiner Zuschauer ist auch die indische Film- industrie: Gedreht wird nicht nur in Hindi, sondern auch in allen anderen weit verbreiteten Sprachen wie Telugu, Kannada oder Tamil. Aus Bollywood selbst kommen gerade einmal ein Viertel bis ein Drittel der indischen Filme, die meisten davon in Hindi. Ginge man nach Produktionszahlen, müsste die indische Filmindustrie inzwischen Madrallywood heißen: Schon seit vielen Jahren hat Chennai, das frühere Madras, Bombay den Rang der Stadt mit den fleißigsten Filmproduzenten abgelaufen. Tatsächlich wird heute von Kollywood gesprochen – nach Koodempakam, einem der Filmviertel in Madras. Das südindische Kino hat seine eigenen Stars und einen eigenen Stil: In früheren Jahrzehnten hatten die Produzenten und Regisseure aus dem Süden den Ruf, anspruchsvolle Filme zu drehen. Ihre Streifen behandelten häufig Stoffe zu Gesellschaft und Moral. Als in den Neunzigern in Madras noch mehr Filme als zuvor gedreht wurden, übernahmen Kampf- und – zumindest nach indischen Vorstellungen – Sexszenen die Hauptrolle. Die Actionstreifen ersetzen mit einer Abfolge von Explosionen, Prügelszenen mit knallenden Faustschlägen und spektakulären Stürzen in Zeitlupe jegliche Handlung – und bleiben in der Herstellung günstiger als die Hindi-Familienfilme mit ihren kostspieligen Choreographien. Es gibt auch südindische Filme mit großem Budget, doch ihre Zahl und Verbreitung ist geringer: Die Zielgruppen sind schon der Sprache wegen kleiner als die des Hindi-Kinos, zumal dies auch für den Export in arabische Länder produziert. Der Vertrieb in westlichen Ländern spielt erst in den letzten Jahren eine Rolle.
    Ich gehe in Indien gerne ins Kino. Allerdings nicht so sehr der Filme wegen. Die DVDs, die ich mir aus Indien als Erinnerung mitgebracht habe, verstauben im Regal. Auf einer kleinen Mattscheibe mit englischen Untertiteln verlieren die Filme schnell ihren Reiz. Anders ein Kinobesuch in Indien, denn der ist immer wieder etwas Besonderes. Ein paar Widrigkeiten gibt es allerdings zu beachten: „Kauf dir nicht die teuren Plätze oben in der Loge“, hat mir ein Freund einmal geraten, als ich in ein verhältnismäßig kleines, schon älteres Kino gehen wollte. „Da oben ist weniger los, und das runtergefallene Knabberzeug lockt die Ratten an.“ Ratten? Tatsächlich fand ich einmal nach einem schönen Kinoabend einen aufgedunsenen Kadaver von der Größe meines Unterarms im Rinnstein vor dem Ausgang. Spätestens seitdem glaube ich dem Tipp meines Bekannten, zumindest wenn es sich nicht um einen modernen Filmpalast handelt. Für diese trifft aber ein anderer Rat zu: „Nimm dir eine Decke oder eine Jacke mit!“ Ein Kinosaal, der etwas auf sich hält, verfügt über eine Klimaanlage, die die Temperatur gefühlte dreißig Grad unter Straßentemperatur hält. Also achte ich an der Kasse auf zwei Dinge: Ich bestehe auf einer Karte fürs Parkett, die nur ein paar Rupien kostet, und habe einen netten Blick übrig für den Mann in der etwas zu großen Fantasieuniform, der die Tasche mit meiner Jacke und meinem Pulli beäugt. Kinosäle gehören zum öffentlichen Leben und sind so auch potentielles Anschlagsziel. Immer wieder sieht man daher an den Eingängen urzeitlich wirkende Metalldetektoren und mehr oder weniger aufmerksames Sicherheitspersonal. Einen besonderen Sicherheitstrick erlebte ich vor über zehn Jahren in Bombay, als ich den etwas langweiligen Streifen frühzeitig verlassen wollte: Die Ausgangstüren waren mit Ketten verrammelt. „Wegen der Bomben“, erklärte mir der Junge am Stand mit den Snacks mit einem großen Lächeln. Ein Attentäter, sagte er, würde keine Bombe zünden, solange er sich selbst im Saal befände … Ich war dann doch froh, wieder nach draußen gelassen zu werden. Das Sicherheitskonzept hat sich nicht durchgesetzt, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass auch Indien nicht von selbstmörderischen Anschlägen verschont bleibt.
    Sitze ich erst einmal auf meinem Platz, fällt es mir dennoch normalerweise nicht schwer, merkwürdige Geräusche unter und hinter mir (Nagetiere? Eisbildung durch die Klimaanlage? Zündschnüre?) zu
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