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Marx fuer Eilige

Marx fuer Eilige

Titel: Marx fuer Eilige
Autoren: Robert Misik
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verdinglichten Unwesen der kapitalistischen Krämerwelt, sozusagen dem kapitalistisch-vergifteten Menschen ein viel besserer Mensch entwickelte, bejubelten nicht wenige Anhänger eines undogmatischen, westlichen Marxismus diese Entdeckung des »humanistischen« Marx, dessen Menschenbild sie von nun an den realen Verhältnissen im sowjetischen Kosmos entgegenstellten. Da sie die
Pariser Manuskripte
derart hochhielten, erwuchs diesen humanistischen Marxisten freilich sofort das Problem, entweder beweisen zu müssen, daß der Marxsche Begriff der Entfremdung, der ein abstraktes menschliches Wesen voraussetzte, trotz der antiphilosophischen »Abrechnung« auch in den späteren Schriften gleichsam
wesentlich am Werke
war – oder aber sie mußten die für Marxisten doch eher seltsame These vertreten, daß alles, was Marx nach seinem 26. Lebensjahr geschrieben hat, ziemlich zweitrangig war. Die Gegner dieses »humanistischen Marxismus« wiederum – allen voran der französische kommunistische Theoretiker Louis Althusser – bestanden darauf, daß diese Zertrümmerung des »Mythos vom Menschen« 17 den wesentlichen Einschnitt, einen Bruch (»Rupture«) in Marx’ theoretischer Entwicklung darstellte. Ab da sei der Marxismus eine anti-humanistische Theorie geworden, was nicht heißen sollte, daß der Marxismus zu einer Theorie der Unmenschlichkeit geworden sei, sondern daß eine Anthropologie jeder Art im Marxismus keinen Platz habe. Daß die Frage also, was und wie der Mensch sei, ob gut oder böse, ob ein vollkommen entwickelter oder verblödeter und abgestumpfter Mensch dem |37| »Wesen des Menschen« näherkomme, aus marxistischer Perspektive einfach nicht beantworten werden kann – und auch nicht muß.
    Diese heißdiskutierte Frage muß hier nicht entschieden werden, gerade weil wir hier nicht eine Marxsche Orthodoxie begründen, sondern die Bewegung von Marx’ Gedanken nachzeichnen wollen. Zweifellos ist Marx’ viele tausend Druckseiten umfassendes Werk von Widersprüchen nicht frei, was sich übrigens nicht nur zwangsläufig aus der Fülle seiner Schriften ergibt, sondern vor allem aus der Tatsache, daß der streitbare Intellektuelle Marx sein Leben lang nach verschiedenen Seiten gekämpft hat: gegen die spekulative Philosophie der Hegelianer, die die geschichtliche Bewegung als Wirklichkeit des »Selbstbe wußtseins « (»Geist«, »Denken«, »Idee«) faßten, wie gegen die Nationalökonomie seiner Zeit, die über die Beschreibung der Funktionsweise der vom Menschen geschaffenen Dingwelt die Menschen vergaß; später gegen einen romantischen Utopismus, aber auch gegen einen ökonomischen Determinismus, gegen weltfremden Hokuspokus ebenso wie gegen einen geistlosen Positivismus – und je nachdem, in welche Richtung er gerade schlug, spitzte er auf je eine Seite hin zu. Hier reicht es vorerst, daran zu erinnern, daß Marx den Begriff der Entfremdung nicht vollends aufgab. Noch der Rohentwurf zu seinem Alters- und Hauptwerk, dem »Kapital« – heute unter dem Titel »Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie« bekannt – ist ein im wesentlichen
philosophischer
Beitrag zur Nationalökonomie (wie übrigens das »Kapital« selbst) – die politische Ökonomie Marx’ hat nicht in erster Linie die Produktion materieller Werte, sondern die
Produktion
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von Verhältnissen
, die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen innerhalb des kapitalistischen Universums, zum Gegenstand. Der Sachverhalt der
Entfremdung
bleibt zentral, auch wenn der Begriff Entfremdung zweifellos um seinen metaphysischen, ja theologischen Kern gebracht ist. »Abgeschmackt« nennt es Marx in den »Grundrissen«, die Entäußerung der Menschen mit Hinweis auf eine »Natur der Individualität« analysieren zu wollen – die Individualität ist Resultat historischer Prozesse, wie auch »die Entfremdung des Individuums von sich und von andren« Resultat eines »nur sachlichen Zusammenhangs« ist. 18 Doch immer wieder taucht die Beschreibung der »völligen Entleerung« der menschlichen Existenz auf, und noch im »Kapital« benützt Marx den schwierigen Begriff »Entfremdung« offenbar ohne große Scheu – wenngleich auf den knapp tausend Seiten des ersten Bandes nur vier Mal.
    Die Marxsche Theorie, könnten wir also abschließend resümieren, lebt gewissermaßen noch nach der Zertrümmerung des »Mythos vom Menschen« von einer, wenngleich schwachen, anthropologischen Voraussetzung. Zwar hatte er den Gedanken einer eigentlichen Natur des
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