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Marx fuer Eilige

Marx fuer Eilige

Titel: Marx fuer Eilige
Autoren: Robert Misik
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sich das wünsche. Nicht nur die spekulative Philosophie wird zum Visavis des streitbaren Doktors, sondern auch alle Schattierungen eines gefühlsbetonten, ethischen, »utopischen Sozialismus«. Lebenslang waren ihm jene ein Greuel, deren Sozialismus sich auf eine Utopie gründete, die sie sich davor |62| im stillen Kämmerlein ausgemalt hatten – die von einem starken Ethos angetrieben wurden und sich um die Realitäten dafür wenig scherten. Gegen sie wie gegen die Junghegelianer kämpfte Marx schon als 25jähriger an. »Die Revolutionen bedürfen nämlich eines
passiven
Elementes, einer
materiellen
Grundlage«, formuliert er in seiner mit dem überströmenden Übermut des Beginners geschriebenen »Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« und fügt hinzu: »Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen.« (MEAW 1, S. 19) Hier klingt schon der Argumentationsmodus an, den Marx dann zum historischen Materialismus ausarbeiten wird. Dieser sagt keineswegs aus, was manche Marx-Gegner noch heute fälschlicherweise unterstellen, daß die Menschen wesentlich von materialistischen Motiven getrieben sind – also, salopp gesagt, daß der Mensch schlecht ist –, sondern daß der Stand der materiellen Produktion für den Grad der zivilisatorischen Entwicklung eines Landes konstitutiv ist. »Die ›Befreiung‹ ist eine geschichtliche Tat, keine Gedankentat«, heißt es in der »Deutschen Ideologie« dann, »und sie wird bewirkt durch geschichtliche Verhältnisse, durch den Stand der Industrie, des Handels, des Ackerbaus, des Verkehrs …« (MEAW 1, S. 214)
    An dieser Stelle ist es angebracht, kurz zwei wesentliche Kategorien von Marx einzuführen:
Produktivkräfte
und
Produktionsverhältnisse
. Der Begriff Produktivkräfte beschreibt die Allgemeinheit des materiellen Entwicklungsstandes einer Gesellschaft, also den Stand der Fertigkeiten ebenso wie den der Erfindungen, den Grad der Technisierung: |63| Eine Gesellschaft, die über automatisierte Fabriken verfügt und den Ackerbau mit Hilfe großer landwirtschaftlicher Maschinen und unter Einsatz chemischer Substanzen betreibt, hat einen höheren Stand der Produktivkraftentwicklung erreicht als eine, in der der Bauer seinen Pflug hinter dem Ochsen herschiebt und die Handwerker mit ihren Händen und ein paar wenigen Werkzeugen die Güter des täglichen Gebrauchs herstellen. Der Begriff
Produktionsverhältnisse
beschreibt dagegen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen solcherart produziert wird. Ist die Gesellschaft gespalten in Freie und in Sklaven, die für sie arbeiten? Zerfällt sie in eine grundbesitzende Nobilität, leibeigene Bauern und freie Handelsstädte, in denen die Handwerker die paar wenigen Güter, die sie verfertigen, oft noch selbst vertreiben? Oder haben wir es mit einer entwickelten kapitalistischen Gesellschaft zu tun, in der die einen ihr Auskommen durch Lohnarbeit, die anderen durch Kapitalbesitz bestreiten, eine Gesellschaft, die durch eine verallgemeinerte Warenproduktion und Geldwirtschaft geprägt ist?
    Die Pointe des historischen Materialismus ist nun, knapp gesagt, eine zweifache. Erstens: Einem bestimmten Grad der Produktivkraftentwicklung entsprechen jeweils bestimmte Produktionsverhältnisse. Einer Gesellschaft, in der die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung unter Einsatz nur weniger und simpler Hilfsmittel in der Landwirtschaft tätig ist, ist die gesellschaftliche Ordnung des Feudalismus angemessen – und zwar unabhängig davon, ob ein philosophischer Kritiker die Leibeigenschaft nun gut oder schlecht findet; eine entwickelte Waren- und Geldwirtschaft mit globalisert organisierter Produktion |64| und Handelsbeziehungen über Kontinente hinweg wird sich mit verallgemeinerter Sklaverei dagegen nur schwer vereinbaren lassen. Das heißt: Die entwickelte Warenwirtschaft »kritisiert« die Sklaverei auf viel folgenreichere und nachhaltigere Weise, als dies eine humanistische Kritik, die die Würde des frei geborenen Menschen beschwörte, jemals vermöchte. Zweitens: Die Menschen, die unter den Bedingungen bestimmter historischer Produktionsverhältnisse und mit gegebenen Produktivkräften produzieren, entwickeln diese Produktivkräfte bisweilen fort – sie verbessern ihre Fertigkeiten und ihre Werkzeuge, sie machen neue Erfindungen, es nisten sich in den Nischen dieser Gesellschaft Zwischenklassen ein, Kaufleute beispielsweise, die Produkte von
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