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Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck
Autoren: Ulrike Herwig
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nur gedacht. Denken war ja wohl erlaubt. Bernd saß ihr gegenüber und las zum zehnten Mal die Speisekarte des Fähren-Cafés. Er sah nicht mal hoch. Natürlich nicht. Spiegeleier mit Speck waren ja auch wichtiger. Mike dagegen … Der Gedanke an ihren witzigen und charmanten Kollegen ließ Karen keine Ruhe. Neulich waren sie mal zusammen in der Mittagspause einen Kaffee trinken gegangen. Er hatte ihr die Tür aufgehalten und ihren Rock gelobt. Und natürlich hatte Mike ihre neue Haarfarbe bemerkt, ohne dass sie ihn darauf hinweisen musste. Bernd sah plötzlich auf. Karen fühlte sich ertappt. Er war ja ein netter Kerl, nur so … unaufregend. Und in letzter Zeit ließ er sich so gehen. Sein Polohemd spannte ganz schön über dem Bauch. Dann schämte sie sich. Wer im Glashaus saß, sollte nicht mit Steinen werfen. Erst neulich hatte Mark ein Babyfoto von sich selbst angesehen und seine eigene Mutter darauf nicht erkannt. »Bist du das? Die dünne Frau da bist du? Echt?«
    Karen seufzte. Sie sollte den Urlaub dazu nutzen, Bernd wieder näherzukommen. Zeit mit der Familie zu verbringen. Zu relaxen. In Edinburghs Läden nach ein paar schicken Sachen zu stöbern. Vielleicht gab es ja in den Highlands auch eine Wellness-Oase. Mit Heidekrautpackung und Highlander-Massage. Wandern und dabei magisch abnehmen. Raue und gewaltige Natur erleben. Die Kinder glücklich auf den Spuren von Harry Potter. Tante Martha glücklich bei … Ja, wobei eigentlich? Was hatte sie bloß in Schottland vor? Karen merkte, wie sie wieder unruhig wurde. Wo war Martha? Karen drehte sich um. Da! Martha ließ gerade ihren Schottenrock von zwei genauso alten Frauen bewundern. Drehte eine kleine Pirouette!
    »Und trägt man denn da nun was drunter?«, hörte sie die eine fragen. Die drei lachten meckernd, und Martha lüpfte ihren Rock. Oh Gott! Karen wandte sich ab. Sie wollte das nicht wissen. Sie wollte das nicht sehen!
    »Voll krass«, sagte Mark neben ihr. Ein klickendes Geräusch erklang. »Das muss auf YouTube.«

3 Der Hafen in Dover war offenbar von Sadisten konzipiert worden, die mittlerweile irgendwo bei einer Tasse Tee in einem Büro saßen und unter brüllendem Gelächter das irrwitzige Treiben auf einem Monitor beobachteten. Bernd fuhr nun schon die dritte Runde im Kreisverkehr herum.
    »Die erste Ausfahrt müssen wir nehmen, wie oft soll ich es dir noch sagen«, erklärte Karen. Warum hörte er nur nicht auf sie?
    »Die erste Ausfahrt geht nach Dover rein. Wollen wir vielleicht nach Dover? Nein, wir wollen nach Schottland.« Bernd lehnte sich wie ein Rennfahrer nach rechts.
    »Das macht Spaß, Papa!«, jubelte Teresa.
    »Diese blöden Schilder kann doch kein Mensch so schnell lesen«, schimpfte Bernd.
    »Ich kann sie lesen«, sagte Karen so gelassen wie möglich. »Deswegen sage ich dir doch die ganze Zeit, dass wir die erste Ausfahrt nehmen müssen.« Am liebsten hätte sie ihm ins Lenkrad gegriffen, zwang sich aber, ruhig zu bleiben. Es war jedes Mal dasselbe, wenn sie zusammen irgendwohin fuhren. Männer waren so stur, so sinnlos dickköpfig und von dem prähistorischen Wahn besessen, sich besser orientieren zu können. Wenn Karen nicht wusste, wo es langging, dann hielt sie an und fragte jemanden, ganz einfach. Für Bernd war das ein Zeichen von Schwäche. »Als wir Höhlenmenschen waren, haben wir auch keinen nach dem Weg gefragt«, behauptete er immer. »Es liegt in unserer Natur, uns orientieren zu müssen. Das dürfen wir nicht verlernen.« Er guckte eindeutig zu oft Ausgesetzt in der Wildnis auf dem Discovery Channel. Er konnte ihr stundenlang erklären, welche Baumrinden im Dschungel essbar waren und wie man mit zwei Steinen ein Feuer entfachen konnte. Das war ja auch überlebenswichtig in Köln.
    Bernd wurde immer langsamer. Jemand hupte hinter ihnen. »Ja, ja, ist ja gut. Man wird doch wohl noch im Kreis herumfahren dürfen.« Er fluchte leise.
    »Da!«, schrie Martha so unvermittelt, dass Bernd vor lauter Schreck in die zweite Ausfahrt einbog.
    »Mensch, Martha, mach das bitte nicht noch mal. Da kann ganz schnell ein Unfall passieren, und außerdem weiß ich jetzt erst recht nicht, wo wir sind, jetzt fahren wir nach …« Er duckte sich, um ein über ihm hängendes Schild an der Ampel zu lesen.
    »Nach Norden«, sagte Karen.
    »Nach … also was?«
    »Norden. Schottland liegt ja im Norden, oder etwa nicht?« Karen grinste.
    »Sag ich doch. Nach Norden müssen wir«, brummelte Bernd.
    Durch den Spiegel in der Sonnenblende
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