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Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck
Autoren: Ulrike Herwig
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verdiente. Wenn man seinem Kind mit neun Jahren einen eigenen Laptop schenkte, brauchte man sich eben nicht zu wundern.
    »Tante Martha ist nett«, sagte Teresa. »Sie kann auch ganz toll singen.«
    »Ach?«, sagte Karen schwach. »Kann sie das?«
    »Ja. Von einer Seefahrt, die lustig ist und wo man nackte Weiber in der Badewanne sehen kann.«
    »Na klasse«, murmelte Karen.
    »Vielleicht singt sie es dir mal vor, Mama.«
    »Vielleicht.« Karen schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass dies nie der Fall sein würde.
    Die Fähre brachte keine Abkühlung. Ganz im Gegenteil – die Hitze hatte mittlerweile ein geradezu infernalisches Ausmaß erreicht. Die Passagiere lagen schlaff wie Opfer einer tropischen Epidemie auf dem ganzen Schiff herum und ließen immer mehr Hüllen fallen.
    » Heatwave to continue «, verkündete eine britische Tageszeitung.
    »In Schottland ist es kühl, das verspreche ich euch«, tat Bernd feierlich kund, als sie etwas später einen Platz in der plüschigen Bar ergattert hatten.
    »Wann sind wir denn endlich da?«, quengelte Teresa. Sie war kurz eingenickt und gerade mit verschwitzten Haaren wieder aufgewacht.
    Karen strich ihr eine Strähne aus dem runden Kindergesicht. »Noch ein paar Stunden. In einigen Tagen kannst du vielleicht schon Nessie, das Ungeheuer, sehen.«
    »Na klar«, meldete sich Mark aus einer Ecke, wo er sich besseren Handyempfang erhoffte. »Und die Erde ist eine Scheibe.«
    »Nun hör aber mal auf«, sagte Karen verärgert.
    »Ich habe Nessie mal gesehen«, erklärte Tante Martha, die unvermutet hinzugetreten war. Ihr Schottenrock sah immer noch aus wie frisch gestärkt.
    »Wie bitte?« Die Thiemes starrten sie entgeistert an. Mark begann laut zu lachen.
    »Wann warst du denn in Schottland?«, fragte Karen.
    »Vor langer Zeit«, erwiderte Tante Martha vage. »Kommt jemand mit aufs Oberdeck?«
    Bernd warf Karen einen »Hab ich’s dir nicht gesagt«-Blick zu. Die eben noch entspannte Atmosphäre schien sich durch die offensichtliche Vernebelung in Marthas Gehirn wieder anzuspannen.
    »Ich komme mit«, sagte Karen entschlossen und fürsorglich.
    »Ich auch«, meinte Bernd.
    Tante Marthas Regenschirm weckte den Neid aller Passagiere, die sich in Scharen auf dem Oberdeck drängten und sich vom Fahrtwind ein wenig Erfrischung erhofften. Die Sonne knallte erbarmungslos auf die Köpfe, und mehrmals wurde Tante Martha von wildfremden Menschen gelobt, dass sie an einen Sonnenschirm gedacht hatte.
    » Great idea, that umbrella «, bemerkte eine Engländerin, die in einem weißen Hängekleid an der Brüstung stand, die Arme zum Auslüften vorgestreckt wie eine viktorianische Schlafwandlerin. Nur, dass sie noch ein Glas Gin Tonic in der Hand hielt. Am Horizont zeichneten sich bereits die Kreidefelsen von Dover ab. Eine Möwe hatte sich auf dem Geländer der Fähre niedergelassen und rückte erst zur Seite, als Karen hinzutrat. Irgendwie erinnerte sie der störrische Vogel an Tante Martha.
    »Sie sagen es, die Dame macht es richtig.« Ein Mann mit norddeutschem Akzent war stehen geblieben und blickte neidisch auf Marthas Schirm.
    Die Tatsache, dass Tante Marthas Narretei auf einmal gesellschaftliche Huldigung erfuhr, brachte Karen erneut ins Grübeln, ob die alte Frau einfach nur harmlos und rührend oder, wie Bernd ja immer behauptete, vielleicht doch komplett übergeschnappt war.
    »Was für eine verdammte Hitze. Wenn wir erst mal bei Nessie sind, ist es garantiert kühler.« Karen schielte kurz zu Tante Martha hinüber, um zu prüfen, inwiefern die Erwähnung von Nessie einen erneuten geistigen Aussetzer provozieren würde. Aber Tante Martha schwieg und fächelte sich Luft zu.
    Karen atmete auf. Vielleicht verlief die Reise ja doch noch in den erholsamen, entspannenden und mit kleinen landschaftlichen Reizen durchsetzten Bahnen, die ihr seit Monaten vorschwebten. Der Gedanke an den Urlaub hatte sie nervende Kunden, nervende Kollegen und ihren nervenden Chef ertragen lassen, mitsamt den nervenden Selbstbeurteilungen, die er ihnen alle paar Monate aufdrückte. Wie tragen Sie persönlich zum Wohl der Bank bei, Frau Thieme? Indem ich nicht so ein Idiot bin wie Sie, Dr. Albrecht. – Wo sehen Sie sich in fünf Jahren, Frau Thieme? Hoffentlich nicht hier, Dr. Albrecht, sondern in meinem luxuriösen Haus am Rande der Stadt, wo ich in meiner eigenen Sauna sitze, zehn Kilo abgenommen habe und mit einem Glas Sekt anstoße. Mit … Mike. Karen biss sich auf die Lippe. Dabei hatte sie doch
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