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Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck
Autoren: Ulrike Herwig
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alleine regeln? Zwar konnte sie jederzeit auf der Arbeit mit einem Lächeln einen Kredit verweigern, aber gegen alte Damen wie Martha kam sie nicht an. Wahrscheinlich, weil Karen hoffte, dass sie dadurch auf mysteriöse Weise Pluspunkte sammeln und als Dank dafür in vierzig Jahren genauso nachsichtig behandelt werden würde. In der Wohnung roch es nach Apotheke. Die Dudelsackmusik hatte aufgehört, stattdessen sang jetzt ein Männerchor von den »bonny, bonny banks of Loch Lomond«. Sie konnte Martha doch nicht einfach mitnehmen. Gab es nicht diese jugendlichen Hippies, die herumfuhren und sich um Alte und Kranke kümmerten? Für wen arbeiteten die? Das Rote Kreuz? Die Grauen Panther? Zögernd griff sie nach dem Handy in ihrer Hosentasche. »Martha«, begann sie wieder leutselig. »Es ist doch nur für zwei Wochen.«
    »Das kannst du vergessen!«, sagte Tante Martha. Sie reichte ihr gerade mal bis zum Kinn, Karen konnte die rosa Kopfhaut unter den drahtigen weißen Löckchen durchschimmern sehen. Und doch brach ihr der kalte Angstschweiß aus, als Martha fortfuhr. »Du weißt, wen ich in meinem Testament begünstige, nicht wahr? Dafür erwarte ich auch was. Schöne Sommerreisen zum Beispiel. Sonst werde ich da wohl einiges ändern müssen.«
    Das war nicht fair! Tante Marthas Testament war der einzige Lichtblick am desolaten Finanzhimmel der Thiemes. Deswegen kam Karen doch dauernd hierher und kümmerte sich um Martha, kaufte ein, fuhr sie zur Fußpflege und so weiter. Na gut, nicht dauernd, aber ziemlich oft. Doch von gemeinsamen Urlauben war bislang nie die Rede gewesen. Und wer sollte eigentlich die Extrakosten bezahlen? Die Ferienkasse war ohnehin schon ziemlich mager, womit sie wieder beim Thema war. Sie konnte es sich nicht mit Tante Martha verscherzen.
    Listig sah diese zu Karen hoch, die kleinen Äuglein kalt und berechnend wie die eines Reptils. »Ich bezahle natürlich meinen Anteil«, sagte sie, als ob sie Karens Gedanken lesen könnte.
    Entsetzt betrachtete Karen ihre Großtante, und dann, getrieben von Panik und Eile, rutschte es ihr fast ohne ihr Zutun heraus: »Ja, Herrgott noch mal, dann komm halt mit!«
    Augenblicklich verwandelte sich Martha wieder in eine harmlose alte Frau.
    »Ja, sag mal, du hast sie wohl nicht mehr alle!«, zischte Bernd, als sie ihm unten auf der Straße im Telegrammstil von Tante Marthas Plänen berichtete. »Die Frau ist über achtzig!«
    Karen hob beschwichtigend die Hände. Warum stellte er sich so an? Er hatte ja keine Ahnung, wie störrisch Martha sein konnte.
    »Sie ist körperlich total fit«, sagte sie, obwohl sie keine Ahnung hatte, ob das stimmte.
    »Das ist mir scheißegal. Sie ist verrückt, hast du das schon vergessen? Senil! Plemplem!«
    Karen zischte jetzt ebenfalls. »Sie streicht mich aus ihrem Testament, Bernd. Was soll ich denn machen?«
    Bernd grummelte unzufrieden. »Wie soll denn das gehen? Soll sie etwa mit auf den Ben Nevis steigen, hm? In ihren orthopädischen Schuhen? Mit ihren Herztropfen im Rucksack?«
    »Nein, sicher nicht. Dann bleibt sie halt im Hotel und trinkt Tee. Oder Whisky.« Letzteres entfuhr Karen bei der Erinnerung an die Flasche in Marthas Wohnzimmer. »Und außerdem, verrückt oder nicht – sie hat einen Haufen Geld, schon vergessen? Das könnten wir gut gebrauchen. Oder willst du ewig zur Miete wohnen? Außerdem bezahlt sie ihren Anteil.«
    »Weißt du das mit dem Haufen Geld denn so genau? Das behauptet sie doch immer nur. Hast du jemals einen Kontoauszug gesehen, hm? Was, wenn das auch nur Hirngespinste sind? Vielleicht sind es ja noch D-Mark, die sie unter ihr Kopfkissen gestopft hat.«
    Karen lehnte sich ans Auto. Ihr vor wenigen Stunden angezogenes T-Shirt klebte am Körper. Eine Sekunde lang dachte sie voller Neid an ihre Kollegin Bettina, die heute ebenfalls ihren Urlaub antrat und in eine Wellness-Oase fuhr. Alleine!
    »Wann sind wir endlich da?«, fragte Teresa.
    Karen gab sich einen Ruck. »Sie kommt mit, oder wir fahren nicht«, beschloss sie.
    Bernd gab einen undefinierbaren Laut der Entrüstung von sich und starrte zur anderen Straßenseite. Karen legte Tante Marthas kleines Köfferchen auf all den anderen Krempel im Kofferraum und ging zur Haustür, wo Martha bereits wartete, den aufgespannten Schirm in der Hand. Vorsichtig trippelte sie los. Karen öffnete die Autotür und signalisierte ihrem Sohn, sich auf den dritten Sitz der Rückbank zu verziehen. Mark nahm langsam seine Kopfhörer ab und kehrte nur widerwillig
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