Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck
Autoren: Ulrike Herwig
Vom Netzwerk:
gesagt?«, fragte Martha interessiert.
    Mark gab ein amüsiertes Grunzen von sich. »Sie soll die Klappe halten«, erklärte er dann aber. »Sie nervt.«
    »Mark!« Karen fuhr energisch herum.
    »Letzter Halt vor Belgien kommt in drei Kilometern«, verkündete Bernd in diesem Moment.
    Wenig später fuhren sie auf den Parkplatz der Raststätte.
    Bernd fand eine Lücke direkt vor dem Restaurant. Doch beim Aussteigen schlug Tante Martha die Autotür an einen dicht daneben geparkten BMW . Der korpulente Besitzer kroch wie ein zorniger Hirschkäfer aus seinem Panzer und fing an zu brüllen.
    »Ja, ham Sie denn keine Augen im Kopf! Da muss man doch mal aufpassen! Der ganze Lack ist zerkratzt!«
    »Es ist nichts zerkratzt«, erwiderte Bernd freundlich.
    »Na freilich! Gucken Sie doch mal richtig hin!«
    »Entschuldigung«, sagte Karen mit hochrotem Kopf. »Unsere Tante ist über achtzig und kommt nicht mehr so einfach aus dem Auto raus.« Was war das denn für ein cholerischer Typ? Ein bisschen erinnerte er sie an ihren Chef in der Bank, den launischen Dr. Albrecht.
    »Davon kann ich mir auch nichts kaufen«, meckerte der Mann und sah sie wütend an. Schweißflecken breiteten sich in bizarren Mustern unter seinen Armen aus.
    »Es tut uns leid«, gab Bernd zurück. »Aber ich kann wirklich nichts sehen.«
    »Ja, sind Sie denn blind? Ich …« Der Mann setzte zu einer neuen Beschwerde an, wurde aber überraschend von Tante Martha unterbrochen.
    »Mach den Kopf zu, du nervst«, sagte die alte Dame.
    Der aufgebrachte Mann sackte in sich zusammen und schüttelte verwirrt den Kopf, wie jemand, dem gerade ein Ufo an der Nase vorbeigeflogen war. Da niemand etwas sagte, glaubte er schließlich selbst, dass diese Bemerkung unmöglich dem altersschwachen kleinen Mund der greisen Frau entschlüpft sein konnte, und stieg wie ferngesteuert wieder in sein Auto ein.
    »Auf Wiedersehen«, sagte Bernd höflich.
    Der Mann warf ihnen einen letzten ängstlichen Blick zu und startete das Auto.
    Mark musterte seine Familie mit neuerwachtem Interesse.
    Diese kleine Episode hatte die Stimmung erheblich verbessert, und obwohl sich immer noch niemand dazu äußerte, gab es doch erste Anzeichen der Entspannung. Als sie auf der Fähre nach Dover einen ungenießbaren Kaffee tranken, beschwerte Bernd sich nicht mehr über den neuen Fahrgast, sondern kicherte nur immer wieder leise in sich hinein. Mark hatte seine Ohren entstöpselt, denn was immer man auch von dieser Reise halten mochte, so schien es sich doch zu lohnen, nichts zu verpassen. Tante Martha marschierte zu Karens unendlicher Erleichterung völlig selbstständig auf die Toilette und bahnte sich wie eine eingeschrumpfte Mary Poppins mit ihrem Regenschirm den Weg.
    »Na, siehst du«, meinte sie zu Bernd. »Das wird schon.« Sie folgte der alten Frau mit ihren Blicken. Absolut bizarr, wie sie den Mann auf dem Parkplatz zusammengestaucht hatte. Eigentlich beneidenswert. Oder einfach nur ein Anzeichen von Demenz? War es ihr egal, was die Leute von ihr dachten, weil sie es sowieso nicht mehr mitbekam? Obwohl, von diesem Punkt aus betrachtet, litt Dr. Albrecht mit seinen fünfunddreißig Jahren ebenfalls an Demenz. Martha verschwand um die Ecke.
    »Aber was hat das eigentlich zu bedeuten – sie hat in Schottland was zu erledigen?«, fragte Bernd, ohne sich an jemand Bestimmten zu wenden.
    Karen zuckte mit den Schultern. Sie hatte keinen blassen Schimmer. Martha hatte nicht mal in Köln was zu erledigen, sie verließ ja kaum das Haus.
    »Na, dass Tante Martha total balla balla ist«, meinte Mark. »Einfach völlig verpeilt.« Das Kabel seines weißen Ohrsteckers schlängelte sich am Hals herunter.
    »Sag das nicht so. Das ist respektlos«, wies Karen ihn zurecht.
    »Aber wahr. Hast du vergessen, wie sie Tommy mal ihre Krücke in die Eier gerammt hat, als wir sie besuchen mussten?«
    Karen verzog den Mund. »Mark! Sie ist ausgerutscht, weil sie ein Gipsbein hatte, und ist mit der Krücke ein bisschen an ihn … rangekommen. Und außerdem hat er in ihren Sachen herumgewühlt. Das macht man ja auch nicht.« Mit der Krücke an ihn rangekommen  … Das war die Untertreibung des Jahrzehnts. Karen wurde es immer noch ganz flau im Magen bei der Erinnerung an diesen unschönen Vorfall. Tante Martha hatte eiskalt zugeschlagen. Die Eltern von Marks Kumpel Tommy waren damals kurz davor gewesen, Tante Martha anzuzeigen. Aber eigentlich fand Karen, dass dieses verwöhnte Balg nur bekommen hatte, was es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher