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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht!
Autoren: Jan Weiler
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ernst: »Auptsach, du bist keine carabiniere.«
    »Keine was?«
    »Keine carabiniere. Dorfpoliziste. Aber du bist keine dumme Salat.«
    Später frage ich Sara, was ein dummer Salat ist. Es handelt sich hierbei um einen Ausdruck, den Antonio höchstpersönlich erfunden hat und den er mit Stolz
    immer wieder anbringt. Ein dummer Salat ist ein
    Kopfsalat, den man frisch aus der Erde geholt hat.
    Solch ein Salat ohne Essig und Öl ist in Antonios
    Augen langweilig, weil er nach nichts schmeckt, also fad und somit dumm. »Dumme Salat« ist der
    wahrscheinlich stärkste Kraftausdruck in Antonios
    Sprachschatz. Manchmal sagt er auch »baccalà«, das heißt Stockfisch und bedeutet ungefähr dasselbe wie
    »dumme Salat«. Dass ich keiner bin, solle mich stolz machen, sagt Sara. Sie sei jahrelang einer gewesen.
    Dann fahren wir zu meinen Eltern. Ein großer Mo-
    ment, für den sich Antonio, die Würde des Augen-
    blicks erkennend, ordentlich in Schale geworfen hat.
    Italiener wissen sich von Natur aus gut anzuziehen, besonders die Männer. Selbst eine geflickte schmutzige Windjacke können sie tragen wie einen Smo-
    king. Sie bewegen sich in ihren Kleidern wie Stars
    auf einem roten Teppich. Toni trägt eine Kombinati-
    on aus einer braunen Cordhose und einem weißen
    Hemd mit einem grünen Jackett. Er ist frisch rasiert und lächelt sein Goldzahnlächeln. Er riecht wie AI
    Pacino, Marlon BrAndó und Lino Ventura. Und
    zwar gleichzeitig.
    »Wie seh i aus, seh i gut aus?«
    Frau Marcipane, die ein hübsches Sommerkleid
    und kaum Make-up trägt, ist ein wenig nervös,
    schließlich kennt sie ihren Toni schon eine geraume Zeit. Er ist ein unberechenbares Risiko im Umgang
    mit Fremden. Seine Auftritte sind entweder Stern-
    stunden der Unterhaltung oder sie führen zur völli-
    gen Verstörtheit des Publikums. Das hängt von eben-
    diesem Publikum ab, niemals von Toni. Der ist immer nur ganz er selbst.
    Mein Elternhaus ist eine gute Autostunde von dem
    der Marcipanes entfernt. Heute lerne ich, welche
    Rolle solche Zeitberechnungen in der Familie meiner Zukünftigen spielen, nämlich keine. Wenn es heißt,
    etwas dauert eine Stunde, so bedeutet das in Anto-
    nio-Rechnung: Es dauert nicht so lange wie ein
    Abendessen, aber länger als ein Bocciaspiel. Zeit-
    räume werden bei ihm nicht mit Uhren gemessen,
    sondern mit Tätigkeiten. So lange wie einkaufen.
    Ungefähr so lange wie spazieren gehen. So lange wie ein Nickerchen.
    Die Länge einer Autostunde ist demnach ziemlich
    dehnbar und hat für ihn keinerlei Bedeutung. Für
    meine Mutter schon, denn sie hat gekocht. Während
    ich in Antonios Auto sitze, stelle ich mir vor, wie meine Mutter in der Küche herumsaust und mein Vater den Wein atmen lässt – übrigens eine ganz und gar sinnlose Angewohnheit vor allem deutscher Weinken-ner, die nicht wahrhaben wollen, dass Wein nicht auf einer Fläche von drei Quadratzentimetern atmen
    kann. Hoffentlich macht sie nichts Italienisches, das könnte ranschmeißerisch wirken. Oder nein: Hoffentlich macht sie etwas Italienisches, alles andere wirkt kulturimperialistisch oder könnte dazu führen, dass Toni nichts isst. Italiener essen ja nicht so gerne deutsch. Hoffentlich gibt es auf keinen Fall etwas
    Französisches, womöglich mit einem Bordeaux, denn
    das ist für einen Italiener eine Beleidigung.
    Wahrscheinlich ist jedoch, dass es gar nichts gibt, denn vermutlich werden wir nie bei meinen Eltern
    ankommen. Zu behaupten, Herr Marcipane fahre
    defensiv, ist eine hoffnungslose Untertreibung. Sein Auto fährt nicht, es rollt allenfalls und wird auf der Autobahn sogar von holländischen Wohnmobilen
    zügig überholt. Während er durch die Landschaft
    gondelt, kann man getrost aussteigen und ein paar
    Blümchen pflücken. Seine Frau hat sich offenbar mit den Jahren daran gewöhnt, sie scheint dieses Tempo
    sogar zu genießen.
    Früher machten die Marcipanes sich jeden Som-
    mer von Krefeld auf den Weg nach Süditalien. Wenn
    Antonio die ganze Strecke über am Steuer gesessen
    hätte, wäre der Urlaub schon bei der Ankunft vorbei gewesen. Deswegen fuhr immer Ursula. Sie ist
    wirklich eine duldsame Frau, deren Missbilligung
    für ihren Gatten einzig dadurch zum Ausdruck
    kommt, dass sie die Augen gen Himmel richtet.
    Manchmal schüttelt sie auch den Kopf und seufzt.
    Meistens – jedoch ist sie sehr freundlich zu ihrem
    Mann. Ich glaube, sie hat eine Art Restlichtverstärker im Kopf. Damit kann sie alles, was Antonio ihr so
    von morgens his
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