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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht!
Autoren: Jan Weiler
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abends erzählt, automatisch filtern und übersetzen. Was sich wiederholt, fliegt sofort
    raus, neue Sätze werden in die Tiefen des Hirns
    weiter-transportiert und konstruktiv verwertet. Nur so ist ihre tranquilizerartige Coolness zu erklären.
    Während der Fahrt klärt mich Antonio über den
    europäischen Fußball auf. Es gibt nämlich überhaupt nur zwei Gegenden, in denen ordentlich, wenn nicht
    sogar »in absolute Welteklasse« gespielt wird. Der
    eine Ort ist ganz Italien. Der andere ist Krefeld, denn da spielt seine Lieblingsmannschaft, Bayer Uerdingen. Patrioten sind immer auch Lokalpatrioten,
    was bei Antonio zu dieser seltsamen Mischung führt.
    Er schwärmt vom einzigen Match, mit dem Bayer
    Uerdingen Fußballgeschichte geschrieben hat,
    nämlich dem Viertelfinale im Pokal der Pokalsieger
    1986. Nach einer 0:2-Hinspielniederlage gegen Dyna-
    mo Dresden und einem 1:3-Pausenrückstand sah es
    damals finster aus für Bayer. Doch die mit dem Mut
    der Verzweiflung kämpfende Mannschaft drehte
    das Spiel in der zweiten Hälfte tatsächlich noch um und gewann schließlich mit 7:3, was den Einzug ins
    Halbfinale bedeutete. Dort scheiterte Bayer zwar an Atletico Madrid, wurde jedoch am Ende der Saison
    Dritter in der Bundesliga. Antonio kann jeden Spielzug der Partie gegen Dresden genau beschreiben,
    was er leidenschaftlich macht, viel leidenschaftlicher, als er zum Beispiel Auto fährt.

    Nach etwas mehr als zwei Stunden biegen wir in die
    Straße meiner Eltern ein. Ich vermute, dass meine
    Mutter stocksauer oder den Tränen nahe in der
    Küche auf irgendetwas Verbranntes starrt, aber ich
    täusche mich. Sie hat vitello tonnato gemacht, das ist Kalbfleisch in Thunfischtunke mit Kapern, das kann
    nicht kalt werden, weil es ohnehin kalt ist. Kluge
    Mutter.
    Nach der Begrüßung, bei der ich alle miteinander
    bekannt mache, zaubert Antonio eine Plastiktüte
    hervor und entnimmt ihr eine Flasche Wein aus Jür-
    gens Bestand. Feierlich überreicht er sie meinem
    Vater, der das italienische Staatsgeschenk mit Ken-
    nerblick begutachtet und dann »Oho!« ruft.
    Man nimmt auf der Terrasse Platz, es läuft ganz
    gut. Antonio ist ein charmanter Plauderer und er ist ein Philosoph. Der letzte große Philosoph Italiens, der leider im befreundeten Ausland leben muss.
    Nach der Vorspeise setzt er zu seinem Lieblings-
    thema an, vor dem mich Sara schon gewarnt hat:
    Machiavelli. Seine Frau guckt nach oben, Sara nach
    unten, meine Eltern hören mit sozusagen verschwä-
    gertem Interesse zu. Obwohl mit der Gedankenwelt
    Machiavellis nicht im Detail vertraut, lässt es sich Antonio nicht nehmen, meine Eltern in die Geheim-nisse dessen Schaffens einzuweihen. Meine Eltern
    sagen: »Ach, tatsächlich?« oder: »Interessant, ja«, bis Antonio schließlich zum Kern des machiavellisti-schen Handelns vorgedrungen ist: der Verführung
    der Frau und der lebenslangen Freundschaft mit
    Sigmund Freud.
    »Habbe sie alles geteilte, die Wohnung und die
    Fraue, waren die beste Freunde, die beide, wisse Sie?«
    »Das kann nun nicht sein«, werfe ich ein, »Freud
    hat im letzten Jahrhundert gelebt und Machiavelli
    vor vierhundert Jahren. Die können sich gar nicht
    gekannt haben.«
    Darauf er: »Makke ja sein.« Kurze Pause. Dann:
    »Aber der Freud, hatte er einfache alles abgeschrieben bei Machiavelli.«
    Wenig später preist er seinen Mercedes, ein Wun-
    derwerk von »deutsche Kunst von die Ingenieure,
    die wirkelich habbe sich was ausegedacht«. Sein
    Auto hat nämlich »Klimaluft unde tippeditoppe alles drin, bin ich schon 400 000 Kilometer gefahre ohne
    der Dingeschaden irgendewo«.
    Diesmal schreitet seine Frau ein: »Toni, 120 000
    Kilometer hat der gefahren.«
    Darauf er, ohne eine Sekunde zu zögern: »Na
    unde? 400 000 iste italienische Zahl.«
    Dann kommt das Gespräch auf die Hochzeit. Ja, er
    werde die Feier bezahlen, ruft Antonio im Über-
    schwang der Gefühle, die er an diesem wunderschö-
    nen Tag empfindet – und darauf wollen wir anstoßen.
    Auch wenn er bedauere, dass er keinen Sohn hat und
    daher niemals zu einer Hochzeit eingeladen wird,
    die er nicht selbst bezahlen muss. Daraufhin schlägt mein Vater vor, die Hälfte zu übernehmen. Ooohh
    nein! Das könne er nicht annehmen, das sei gegen
    seine Ehre. Aber wenn er es sich recht überlege, sei es ja nur ein Ausgleich dafür, dass mein Vater drei Söhne hat. Nur um der Gerechtigkeit willen und
    ohne darin einen Vorteil zu sehen, nimmt er das
    Angebot schließlich doch an,
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