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Margos Spuren

Margos Spuren

Titel: Margos Spuren
Autoren: John Green
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habe ich mir überlegt, dass ich wirklich buchstäblich Eseleier lutschen würde, wenn ich dafür den Rest des Schuljahrs Politik schwänzen dürfte«, sagte er.
    »Von Eseleiern lernt man eine Menge über Politik«, sagte ich. »Wo wir gerade von Gründen reden, die fünfte Stunde freizuhaben, wir haben mit Angela zu Mittag gegessen.«
    Ben zwinkerte Radar zu. »Ja, und sie wollte wissen, warum sie noch nie bei dir zu Hause war.«
    Radar atmete hörbar aus, während er die Zahlenkombination in das Schloss eingab. Er atmete so lange aus, dass ich Angst bekam, er würde ohnmächtig werden. »Mist«, sagte er schließlich.
    »Ist dir irgendwas peinlich?«, fragte ich grinsend.
    »Halt die Klappe«, antwortete er und gab mir einen Stoß mit dem Ellbogen.
    »Bei euch zu Hause ist es doch schön«, sagte ich.
    »Im Ernst, Alter«, sagte Ben. »Sie ist echt ein nettes Mädchen. Ich verstehe nicht, warum du sie nicht deinen Eltern vorstellst und ihr die Radar-Villa zeigst.«
    Radar warf seine Bücher in das Schließfach und schloss ab. Zufällig setzte der Lärm im Flur eine Sekunde aus, als Radar den Blick gen Himmel hob und rief : »ES IST NICHT MEINE SCHULD, DASS MEINE ELTERN DIE WELTGRÖSSTE SAMMLUNG SCHWARZER WEIHNACHTSMÄNNER HABEN!«
    Ich hatte wahrscheinlich schon tausendmal gehört, wie Radar »weltgrößte Sammlung schwarzer Weihnachtsmänner« sagte, aber es war immer noch genauso lustig wie beim ersten Mal. Dabei war es kein Spaß. Ich erinnerte mich an meinen ersten Besuch bei ihm zu Hause. Ich war dreizehn. Es war Frühling, Weihnachten war mehrere Monate vorbei, und doch waren die Fensterbretter mit schwarzen Weihnachtsmännern dekoriert. Am Treppengeländer hingen Scherenschnitte von schwarzen Weihnachtsmännern, schwarze Weihnachtsmannkerzen standen auf dem Esstisch, über dem Kamin hing das Ölbild eines schwarzen Weihnachtsmanns, und auf dem Sims darunter drängten sich zahlreiche kleine schwarze Weihnachtsmannfiguren. Aus Namibia hatten Radars Eltern einen schwarzen Weihnachtsmann-PEZ-Spender. Ein schwarzer Leucht-Weihnachtsmann aus Plastik, der von Thanksgiving bis Neujahr im Vorgarten stand, wachte den Rest des Jahres im Gästebad, wo sie mit Farbe und Schwämmen in Weihnachtsmannform eine schwarze Weihnachtsmanntapete selbst gemacht hatten. Außer Radars Zimmer war das ganze Haus von Unmengen schwarzer Weihnachtsmänner bevölkert – aus Gips und Plastik, Keramik und Marmor, Holz und Kunstharz, Gummi und Stoff. Radars Eltern besaßen insgesamt mehr als zwölfhundert schwarze Weihnachtsmänner der unterschiedlichsten Machart. Wie eine Plakette neben der Haustür verkündete, war Radars Zuhause von der Amerikanischen Weihnachtsgesellschaft offiziell zur Sehenswürdigkeit erklärt worden.
    »Sag einfach die Wahrheit, Mann«, schlug ich vor. »Sag : ›Angela, ich mag dich wirklich, aber es gibt da was, was du wissen musst. Wenn wir zu mir gehen und uns die Kleider vom Leib reißen, dann sind zweitausendvierhundert Augen von zwölfhundert schwarzen Weihnachtsmännern auf uns gerichtet.‹«
    Radar fuhr sich mit der Hand durch das kurz geschorene Haar und schüttelte den Kopf. »Ja, ja. Ich glaube nicht, dass ich genau die gleichen Worte benutze, aber ich kümmere mich darum.«
    Ich musste zu meinem Politikkurs, Ben hatte als Wahlfach Videospieldesign. Und wieder beobachtete ich zwei Stunden lang die Uhrzeiger, bis endlich die Schule aus war und sich Erleichterung in mir ausbreitete – das letzte Klingeln an jedem Tag war wie die Generalprobe für den Schulabschluss in weniger als vier Wochen.
     
    Ich ging nach Hause. Aß zwei Brote mit Erdnussbutter und Marmelade. Sah mir ein Pokerturnier im Fernsehen an. Um sechs kamen meine Eltern, umarmten einander, dann umarmten sie mich. Wir aßen Makkaroniauflauf zu Abend. Sie fragten mich nach der Schule. Sie fragten mich nach dem Schulball. Sie staunten, was für einen tollen Jungen sie großgezogen hatten. Sie erzählten mir von ihrem Tag, den sie damit verbracht hatten, sich um Leute zu kümmern, die weniger Glück beim Großziehen von Kindern hatten. Dann setzten sie sich vor den Fernseher. Ich ging in mein Zimmer um meine E-Mails zu lesen. Schrieb für Englisch eine halbe Seite über den Großen Gatsby . Las ein paar Artikel der amerikanischen Verfassung für Politik. Chattete mit Ben, dann klinkte sich auch Radar ein. Im Verlauf benutzte er viermal den Ausdruck »weltgrößte Sammlung schwarzer Weihnachtsmänner«, und ich musste jedes Mal lachen. Ich
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