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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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bereiten, mit viel Rum; gegen Abend sollte es Glühwein sein; den Morgen begann er mit mehreren Gläschen Branntwein, und auch tagsüber trank er in einem fort, knurrend und nur ganz nebenbei.
    Er füllte die Wohnung aus mit fremden, winterlichen Gerüchen. Im Grunde ging er uns nichts an; nur so viel, dass wir, solange auch er in den vertrauten Mauern kampierte, etwas verschreckt nebenher vegetierten. Am zweiten Tag ermattete er, kam uns bereits irgendwie unbedeutender vor; da wussten wir schon, dass er gar nicht so schrecklich, nur alt war, selbstsüchtig und auch etwas einfältig. Doch seine Ankünfte waren stets von einer Art opernhafter Verblüffung begleitet; er pflegte einzuziehen, in Pelzwerk, wie der Potentat in einer russischen Oper. Er konnte gar nichts anderes, nur ankommen. Danach verfiel er.
    JUNGE FRAU, IM SCHNEE
    Bei Schneefall ging die junge Frau an mir vorüber, sie lächelte mich an. Beglückt nahm ich ihr Lächeln entgegen und trug es mit mir fort; eine Weile bewahrte ich es, damit es nicht dahinschmelze. Ein beschneites Lächeln war’s, und es schmolz nur langsam. Doch am Ende blieb nur ein feuchter Fleck zurück, in der Seele, kaum pfützchengroß, nicht mehr als eine Träne.
    MINUS ZWANZIG
    Die Kälte beschießt mit Maschinengewehren die Stadt. Beim Gang durch den Friedhof hört man, wie in der hart gefrorenen Erde die Gebeine der Toten krachen. Die Hunde drücken sich an die Mauern der Häuser, wie Wölfe, die sich in die Stadt eingeschlichen haben und einem jetzt das Futter am liebsten aus der Hand fressen möchten und in verlogener Unterwürfigkeit Krokodilstränen vergießen; vielleicht noch ein Bröckchen Grahambrot. Auch die Redakteure der Wirtschaftsblätter in ihren Pelzen drücken sich mit solchen Gesichtern und rot gefrorenen Nasen vor den Banken herum, auf eine Wohlfahrtspauschale spekulierend, wie Hirsche an der Futterstelle.
    Mit klappernden Zähnen sitze ich in meinem Zimmer, umgeben von Büchern, die mich nicht mehr wärmen. Die Kraft der Gedanken ist ohnmächtig angesichts der Wirklichkeit, denke ich. Diese Gedanken in meinem Zimmer sind Früchte des gemäßigten Klimas. Jetzt, da die Übereinkunft zerbrochen ist, wird bei minus zwanzig Grad Goethe ebenso sinnlos wie ein glühender Byron oder der flatternde Rostand. Die Temperatur der Literatur liegt bei 18 °C. Unter- oder oberhalb dieser Werte hat niemand echten Bedarf.
    PRIMEURS
    Frostklirrende, krachende Kälte. In den Gazetten Gerüchte über Herzenswärme und erfrorene Menschen. Nachts weckt uns die Kälte auf, und zähneklappernd starren wir auf die Eisblumen am Fenster, hinter denen streunendes Wild, bis an die Knochen durchfrorene Straßenbahnen und zitternde, heiser röchelnde Autos in heulenden Rudeln umherirren.
    Ich aber warte darauf, dass es klingelt und man mir auf einem Tablett Früchte, die Primeurs des Winters, hereinbringt. Warum denn nicht? Liegt doch nahe, dass auch diese Jahreszeit etwas zur Reife bringt. Ich warte auf köstliche Früchte, hellblaue Eisaprikosen, bereifte schwarze Erdbeeren, Eisblumensträuße von etwas herbem Duft, und nur bei feenhaften, bläulich leuchtenden Eisfestmählern steckt man den Damen die Schneeflöckchen an den Busen, die selbstverständlich Eisbusen sind. Ewig erwarte ich etwas Neues; auch unter Zittern und Zähneklappern.
    ENTWICKLUNG
    Die Jugend fängt damit an, dass man es gern hätte, wenn einen jemand beschützen würde. Dann folgt das Jungmannesalter, in dem man anzugreifen beginnt. Doch der Mann wird erst später, viel später, ein richtiges Mannsbild: Wenn er nicht mehr möchte, dass man ihn beschützt, er aber auch nicht mehr angreifen will und sein ganzer Ehrgeiz nur noch darauf gerichtet ist, ohne aufzufallen irgendjemanden oder irgendetwas zu beschützen.
    MEERESGRUND
    Schön langsam schleppen wir ganze Atlantisse mit uns herum, blicken in die Tiefe und sehen die Umrisse untergegangener Völkerschaften, versunkene Städte im schlammigen Sand, eine Jausengesellschaft rund um den gemütlichen Familientisch, Herren mit gezwirbelten Bärten im Gehrock, Damen in weißen und gelben Spitzen, wie sie aus feinen, gold gerandeten Schalen Schokolade mit Schlag schlürfen und mit gesitteter Pikanterie konversieren; sehen Zirkusmanegen, in denen Kunstreiterinnen in kurzen Tüllröckchen im Kreise jagen; einen Kaiser, der einmal durch die Straßen der Stadt fuhr und der Menge zuwinkte; wir sehen die Einbände alter Lyrikausgaben in der Auslage eines versunkenen Buchladens, das
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