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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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Fasching ein, der wieder an uns vorübergezogen ist, maskiert, mit flatternden Bändern, der die Welt mit farbigem Konfettiplunder übersät hat, der kreischte, grölte, allerlei Zeichen gab und winkte, doch wir sind ihm ausgewichen. Nun ist der Morgen da, der Asche auf unsere Häupter streut. Und vor dem Fenster ächzen die Bäume unter dem Fastenwind. Könnte schon sein, sinnen wir fröstelnd, dass das Leben auch etwas Ungezügeltes, Überbordendes enthielt, irgendeine närrische Freude, ein wildes, kreischendes Glück, das auf die Würde der Vernunft gepfiffen hat – vielleicht war es das; nur haben wir es nicht gewusst.

SCHLECHTES ZEICHEN
    In den verflossenen zwei Jahrzehnten hat kein einziger ungarischer Schriftsteller mehr wegen einer Frau Selbstmord verübt. Ein schlechtes Zeichen: schlecht für die Frauen und schlecht für die Literatur.
    SICHERHEIT
    Wie sicher die Armen in ihren Angelegenheiten sind! Nur die Reichen flattern nervös umher. Jeden Augenblick sind sie um etwas besorgt, wollen etwas, streben nach etwas ganz anderem. Die Reichen leben unter dem zwanghaften Gesetz der Veränderung. Das Gesetz der Armen ist einfacher, sicherer.
    Auch sind sie allen Dingen näher. Die Reichen denken am Ende doch nur noch in Symbolen, Sinnbildern in Großbuchstaben: in Freude oder Gerechtigkeit, in Eigentum oder Außenpolitik oder Kellogg-Pakt. Von all dem wissen die Armen nichts Genaues. Ihre Kenntnisse sind in kleinen Lettern gesetzt. In ihren Köpfen schwirren Wörter wie »Schuh« oder »Bindfaden« oder »ein Pengő zwanzig«. All das ist greifbar, fassbar. Gibt es keinen Armen auf der Welt, den ernsthaft interessieren würde, wie André Gide sich seine letzte Meinung von den Sowjets gebildet hat, ob Picassos Reputation schwindet und wie Churchill über Mussolini denkt? Solche Fragen bewegen die Gemüter erst von vierhundert Pengő monatlich aufwärts. Der Arme wandelt auf festem Boden; der Reiche schwebt schon ein wenig, wie die Heiligen.
    VENEDIG
    In Venedig war ich nervös angekommen und musste pausenlos essen. Angefangen hat es mit Scampi im Cavaletto, dann verzehrte ich Süßes bei Floriani und etwas Sirupartiges in einer Pasticceria der Merceria; am Lido schließlich verspeiste ich in einem modischen Lokal ein blutiges Steak. Dazwischen besuchte ich Museen und lauschte Verdi-Klängen vor den Cafés auf dem Markusplatz. In all dem war etwas Süßliches, zugleich sattmachend Geiles, etwas, was ich nicht recht verdauen konnte, etwas leicht Abgestandenes, Magenverstimmendes – in Tintoretto und auch in den Scampi, im Prunksaal der Dogen, ja sogar in Goldoni. Man schaut sich begeistert um in Venedig, auf der Straße oder sonst wo, und man braucht danach sogleich eine Prise Natron.
    VENEDIG ZUM ZWEITEN
    Venedig ist für jedermann die ewig versäumte Hochzeitsreise; auch für all jene, die ihre Hochzeitsreise tatsächlich dorthin geführt hat. Ja, genauso hätte es sein sollen: in Venedig, im Danieli, mit den Tauben, den Gondolieri und der entsprechenden Frau. Jedermann empfindet das so; nach zehn Jahren selbst diejenigen, die mit der entsprechenden Frau dort gewesen sind.
    VENEDIG ZUM DRITTEN
    Es gibt Vokabeln, die man nach den Regeln einer höheren Anstandslehre auch in Venedig nicht aussprechen kann. Zum Beispiel:
    »Ich liebe dich.«
    DER MOND
    Ich betrachte die neuen, naturalistischen Fotos vom Mond. Pockennarbig und zerfurcht sieht Frau Luna auf den Bildern aus, wie das Gesicht eines blatternarbigen Bratschisten. Möglicherweise war er nicht immer so. Man hat den Mond mit der Tschinelle, einem Edamerkäse und mit einer chirurgisch entfernten Rachenmandel verglichen, hat ihn Silberschüssel und Himmelstaler genannt. In Gedichten erschien er immer nur als ein »so wie«. Doch in Wirklichkeit ist er nicht »so wie«, sondern nur schlicht und einfach so.
    VÖRÖSMARTY
    Als hätte Shakespeare nachts mit rauchenden Fackeln und mit durchs Blut ein wenig verrosteten Heerscharen Ungarn besetzt.
    FEIERTAG
    Feiertage wurden in meiner Kindkeit bei uns daheim nicht nur angemessen, wie es sich gehört, begangen, man feierte sie etwas übertrieben, alles war ein wenig hochgejubelt, überzuckert, zu bunt und reich. Vermutlich fürchte ich mich heute deshalb vor jedem Feiertag, auf den ich mich nicht angemessen vorbereite, und dann plagt mich schließlich immer der Gedanke, dass ich zu wenig gegeben oder zu wenig bekommen habe: die aufregende Erwartung, die früher jedem Erlebnis vorausging, ja auf dem Grund des Lebens
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