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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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hervorsprudeln.
    Sie besitzen nur noch Titel, aber keinen Rang. Robert Musil sagte, es gibt Schriftsteller – wenige –, und dann gibt es diejenigen, die man »Großschriftsteller« nennt. So wie es Großgrundbesitzer, Großindustrielle und Großschlächter gibt.
    Verstummen, beiseitetreten, nicht billigen. Vom Trivialen schreiben, vom Budaer Bühnenklatsch, von den Marktpreisen der Lebensmittel. Schweigen. Verrecken. Nur billigen nicht.
    AUFGABE
    Eine Welt erziehen, ja … Doch das Alphabet –, das sollen sie erst einmal andernorts lernen, bevor sie zu lesen beginnen, die Halunken!
    DIE PLANSKIZZE
    Ich beuge mich über die Planskizze meines Lebens und stelle verblüfft fest, wie einfach alles ist. Ich brauchte gar nichts weiter zu tun, als mir das Rauchen abzugewöhnen, mich jeglicher Ausschweifungen und Alkoholexzesse zu enthalten, die Frau zu lieben, die ich liebe und die mich liebt, regelmäßig zu lesen und unregelmäßig zu schreiben, tagsüber zu spazieren, abends früh zu Bett zu gehen und im Freundeskreis geduldig und bescheiden zu konversieren. So einfach ist alles. Wie schade, denke ich, ewig schade, dass es unmöglich ist.
    VERTRAULICHE STUNDE
    Dieser Mensch hat Leberkrebs, und er weiß es nicht. Ich weiß es und unterhalte mich mit ihm sehr vertraulich, höre mir seine Reisepläne an, nicke zustimmend, wenn er etwas beanstandet und die Welt kritisiert; wir reden über Schriftsteller und Politiker, und weil die Wörter in seiner Situation einen anderen Stellenwert haben, stimme ich allen seinen Äußerungen und Anregungen bereitwillig, ja vorauseilend zu, als hätte ich Angst, etwas für immer zu versäumen. So sprechen wir miteinander, artig und sehr persönlich. Später erinnere ich mich an dieses Zwiegespräch und stelle erstaunt fest, dass man sich eigentlich nur im Schatten des Todes richtig angenehm und einträchtig unterhalten kann.
    WUNDERBARE MONDSCHEINNACHT
    Und dennoch bin ich sterblich.

FEBRUAR
    Diese langen Februarnächte, wenn wir im abgekühlten Zimmer vom Heulen des Windes aus dem Schlaf gerissen werden, uns fröstelnd im Bett aufsetzen und das Nachttischlämpchen anknipsen, eine Zigarette anzünden und auf die Uhr schauen – es beginnt jetzt schon früher zu dämmern, doch es macht nicht viel Spaß, kauern wir doch auch den Tag über in unserem Winterbau eingemummt in warme Klamotten oder Felle; Krankheiten, Rohrbrüche, stinkende Öfen, unerledigte literarische und trostlose Alltagsaufgaben vermiesen den Tag, wir hauchen auf unsere blau verfärbten Nägel, sinnen darüber nach, dass wieder ein Fasching vorüber ist, und der Aschermittwoch pocht bereits mit starren Fingern ans Fenster; der Spaß ist vorbei, wir sind älter geworden.
    So sitzen wir da, bei Morgengrauen im Februar, lustlos und mit blauen Fingernägeln. Der im Herbst in weiser Vorausschau vollgepackte Holzschuppen hat sich schon geleert; Eingewecktes und Räucherspeck sind bereits aufgezehrt, auch das Sauerkraut geht zu Ende. Bekannte werden in diesen Wochen von harmlosen Schnupfen hinweggerafft. Die Damen waten in ihren Lackstiefelchen durch den schmelzenden Schnee, durch Matsch und Dreck, unbeholfen mit zinnoberroter Nase, immerfort – mit allerlei Gehänge und Augenaufschlag – ihre Weiblichkeit signalisierend. Auf die Bücher blicken wir in den Nächten mit Ekel; es scheint, wir haben sie alle gelesen, doch helfen konnte keines. Tagsüber legen wir uns stundenlang unter die Quarzlampe, saugen gierig das nach Ozon schmeckende Licht ein, nuckeln gleichsam an den künstlichen Strahlen – ein in Finsternis gehaltenes Sklavenvolk kann sich nicht inbrünstiger nach Sonne und Freiheit sehnen. Wir erinnern uns ans Licht, das jetzt hoffnungslos fehlt, das Licht, in dem, wie auch im Leben, etwas heidnisch Unbarmherziges, etwas Unsittliches und Grandioses ist. Dann denken wir daran, dass dieser Monat ausgefüllt ist mit philharmonischen Konzerten und Lungenentzündungen. Es ist der Monat, in dem wir mit sparsamen Bewegungen leben, behutsam, zurückhaltend, wie weise Kreaturen, die für diese Zeit ihre Lebensfunktionen drosseln, sich Bewegungslosigkeit auferlegen, mit verlangsamtem Puls schlummern und blinzelnd, in geheimnisvollem Halbschlaf auf die Sonne warten. In diesen Wochen, gegen Ende des Winters, ist es ratsam, ohne größeren Kraftaufwand zu leben: uns beim Schreiben kürzer zu fassen – höchstens vier, fünf Zeilen hintereinander –, wie die Bären.
    Doch gegen Morgen, beim langsamen Wachwerden, fällt uns der
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