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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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glimmte, ist auch heute nicht ganz erloschen, und sobald der Feiertag vorbei ist, werde ich deprimiert gewahr, dass etwas nicht so gelaufen ist, wie es sein sollte. Und ich möchte das Geschenk, dieses ganze Leben, am liebsten zurücktragen und umtauschen.
    DIE KARPATEN
    Als ich sie zum ersten Mal las, störte, verletzte mich Peto fis dröhnende Verachtung des mit emphatischer Übertreibung gering geschätzten Gebirges:
    »Wildromantisch düstere Karpaten,
    Mich kann eure Schönheit nicht ergreifen …«* Mir war jedes für sich lieb, das Wilde, das Romantische, das Düstere, die Karpaten. Das, nur das habe ich hier daheim geliebt, es stand meiner Seele nah. Diese Tannenwälder, die Bergzüge umschlangen etwas – Städte, Dichtung, einen Menschenschlag –, was das Edelste an Ungarn war. Auch heute, auch mit geschlossenen Augen, sehe ich den tiefgrünen Kranz der Tannen, der diese menschliche Landschaft zärtlich und majestätisch umrahmt, dieses einzige Fleckchen Erde, wo ich zu Hause bin.
    IDENTITÄT
    Um wie viel mehr, wie viel leidenschaftlicher und inniger sind wir mit unseren Sünden und Unzulänglichkeiten identisch als mit unseren Tugenden und Fähigkeiten! Um wie viel mehr kennzeichnen mich meine Schwächen und das, wonach ich mich sehne – wohl wissend, dass mir schadet, was ich gern möchte, wozu ich aber nicht stark, weise und diszipliniert genug bin –, als die Tatsache, dass ich mich gelegentlich und im Großen und Ganzen doch zusammennehme, auch etwas für meine Gesundheit tue und ganz nebenbei meine Pflichten erfülle. In Wahrheit sind wir ganz Schwäche, Sünde, ebendas, was wir zu kaschieren trachten. Die Tugend, die dann und wann sichtbar wird, ist nur die Oberfläche des Eisbergs, der wir in der Tiefe sind.
    DIE ZEIT
    Ins naturwissenschaftliche Denken hat eine neue, übernatürliche Kraft Einzug gehalten: die Theorie der Zeit als Raumdimension. Irgendwo existiert die Vergangenheit: nicht nur in Büchern, Gegenständen, in der Erinnerung, sondern auch in der übernatürlichen Sphäre der Zeit, in dem schwer fixierbaren, aber dennoch faktischen unendlichen Raum. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass auf irgendeiner Wellenlänge der Sinnesempfindungen plötzlich aus der Vergangenheit die Stimme Caesars ertönt. Warum nicht? Wenn man das Licht von Sternen fotografieren kann, von Sternen, die im All längst erloschen, objektiv also nicht mehr existent sind, deren Strahlung aber auf chemischem Wege auf der Fotoplatte noch nachweisbar ist, warum sollte man dann nicht auch in Geschehnisse vergangener Zeit eintauchen können? Alles hängt nur von den geeigneten Instrumenten ab. Über das passende Instrument verfügen wir: die Seele.
    DIE ROLLE
    Wenn ich in die Welt hinausgehe, wenn ich mit Menschen rede, hört das Ich plötzlich auf, und ich spiele meine Rolle – es fehlen nur noch Perücke und Schminke. Sogleich wird das Leben zur Bühne. Bei jedermann ist es so; nur Dilettanten und schlechte Schauspieler leugnen dies. Wir beherrschen einen Text, den wir auf angenehme oder tragische Weise, in jedem Fall eindrucksvoll der Welt zur Kenntnis bringen wollen. Diese Rolle sind nicht wir. Doch gelegentlich fließen Charakter und Maske, Persönlichkeit und fremder Text auch schon mal ineinander.
    ATTILA JÓZSEF*
    Der Klang seiner Gedichte hat etwas Zartes und vibrierend Flüsterndes, als zitterte und wimmerte ein Reh in einer mondscheinkalten und gefährlichen Welt. Etwas Edles und Animalisches ist in diesem Ton, etwas Beleidigtes und zum Bahrgericht* Forderndes. Der Ton ist verhängnisvoll. Nur die Stimme des jungen Hamsun ist ihm ähnlich, aus der Zeit, da er Pan und die Mysterien geschrieben hat.
    WIE EINERLEI
    Wie einerlei ist doch, was diese Frau redet, wie einerlei, mit welchen Federn, Pelz- und Seidenhüllen sie zu gefallen trachtet und wie müßig ihr Lächeln, ihr Flüstern ist, die Küsse, das Wimmern, die Schreie – wie beängstigend sich alles nach dem ersten Beisammensein dekuvriert! In den körperlichen wie in den letzten Dingen der Leidenschaft lässt sich ebenso wenig mogeln wie in den schicksalhaften Belangen der Seele.
    DER ANKOMMENDE
    Meist ist er zur Winterszeit gekommen und brachte eine Art rohen, ätzenden Bärengeruch mit sich: Er schälte sich aus haarenden Fußsäcken, bevor er aus dem zugeschneiten Schlitten kroch, aus Fellen und Decken, mit der Pelzmütze, bärtig und baumlang, dröhnend wie eine zur Wanderschaft aufgebrochene nordische Gottheit. Umgehend hatte man ihm Tee zu
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